voriges Kapitel - zum Inhaltsverzeichnis - nächstes Kapitel

 

4. FOSSILISATIONS- UND FINDECHANCE VON 10-4 FÜR EINE ART

Prof. K.

Die Zahl der gefundenen Exemplare eines Fossiltyps hängt von der Zahl der Individuen, die existiert haben, der Fossilierungs- und der Findechance ab. Diese variiert um schätzungsweise l0-4 bis zu Null für eine Art.

W.-E. L.

Der Wert von 10-4 ist für die gut überlieferten Formen unrichtig. Dodson ist 1990 in einer groß angelegten Studie zur fossilen Überlieferung der Dinosaurier zu einem Durchschnittswert von etwa 1 überlieferten zu 3 nicht überlieferten (bzw. bisher nicht gefundenen und gesammelten) Arten gekommen. Ich möchte allen an den Tatsachen und der Wahrheit interessierten Mitmenschen empfehlen, die Originalarbeit einmal gründlich zu studieren. (Vgl. auch das Kurzreferat im Nachrichtenmagazin Der Spiegel 1/1991, p. 153.)

Ich selbst habe in wochenlanger Arbeit die Frage für die Säugetiere untersucht: Von den 771 in Grzimeks Tierleben aufgeführten Gattungen heutiger Säugetiere (Grzimeks Tierleben, Bde. 10-13, 1979) sind 376 Gattungen auch fossil nachgewiesen (gezählt nach Carrol 1988 Vertebrate Paleontology and Evolution), das sind 48, 77 %* (Von den 123 rezenten Familien der Säugetiere sind 108 fossil überliefert, d.h. fast 88 %.) Da wir pro Säugetiergattung im Durchschnitt etwa 4 Arten zählen (vgl. Details bei Dodson 1990), ist das Verhältnis der fossil nachgewiesenen Arten zu den übrigen (unter der dem Neodarwinismus wohlwollenden, aber unrealistischen Annahme, dass die fossilen Gattungen immer nur eine Art aufzuweisen haben) annähernd 1 : 7. Rechnet man mit durchschnittlich 2 fossilen Spezies pro fossiler Gattung (ein Wert, der der Wahrheit wesentlich näher kommen dürfte, - genaue Daten sind jedoch noch zu ermitteln), so ist das Verhältnis schon 1 : 3. Die Gesamtzahl der fossil überlieferten Säugetiergattungen (der ausgestorbenen und rezenten) beläuft sich auf derzeit 3377 (und die der fossil überlieferten Familien auf 316), d.h. die Gesamtzahl der fossil überlieferten Gattungen übertrifft die der lebenden (nach Grzimeks Systematik) um mehr als das Vierfache. Bei der postulierten kontinuierlichen Evolution über Tausende und Zehntausende von kleinen Mutationsschritten mit "only slight or even invisible effects on the phenotype" (Mayr) müssten bei diesen Zahlen massenhaft "Bindeglieder" zwischen den Familien und Ordnungen der Säugetiere vorliegen. Stattdessen treten zahlreich völlig neue Familien und Ordnungen auf, und der Paläontologe G.G. Simpson, der zusammen mit Jepsen in den 1940er Jahren den Neodarwinismus in die Paläontologie einführte, macht zur Frage nach dem Auftreten neuer Säugetierordnungen folgende bemerkenswerte Aussage:

"Das (die Diskontinuität, die "Überlieferungslücken") gilt dann für alle 32 Ordnungen der Säugetiere und in den meisten Fällen ist der Bruch in der Überlieferung noch auffallender als im Falle der Perissodactylen. In den meisten Fällen ist der Bruch so scharf und die Lücke so groß, dass der Ursprung der (jeweiligen Säuger-) Ordnung spekulativ und viel diskutiert ist..."

Da rund die Hälfte der rezenten Säugetiergattungen bisher auch fossil nachgewiesen ist, kann man - als realistischen Ansatz zur Frage, wieviele Gattungen und Arten überhaupt existiert haben - die Zahl der fossil nachgewiesenen Formen in der Weise hochrechnen, dass man sie verdoppelt. Es bedarf nun aber keines großen Rechenaufwands, um zu schlussfolgern, dass man mit einer Verdoppelung° der bisher als "Bindeglieder" angesehenen Formen die bestehenden gewaltigen Lücken und Klüfte niemals schließen kann! Mit den Paläontologen Beurlen, Daque, Schindewolf, Kuhn u.a. schließe ich, dass die Lücken primär vorhanden sind. Bei den oben nach Kuhn noch wesentlich besser fossil überlieferten Formen ist die Dokumentation der Arten und Gattungen über weite Strecken praktisch vollständig, d.h. auch die Lücken zwischen den Typen und Subtypen sind in der Regel endgültig. Ist der Absolutheitsanspruch der neodarwinistischen Kontinuitätsidee tatsächlich berechtigt?

_________

*Siehe auch Dewar 1957.

°Bei Arten Vervierfachung. Valentine und Erwin rechnen (1987) mit einem Verhältnis von 1 : 9 der gefundenen zu nichtgefundenen Arten für paläozoische Formen. Vgl. Sie bitte weiter die bestätigenden Ausführungen folgender Evolutionstheoretiker:


Benton MJ, Wills MA, Hitchin R. (2000): Quality of the fossil record through time: Nature 403: 534 - 537.
Donovan SK, Paul CRC, ed.(1998): The Adequacy of the Fossil Record. Chichester: John Wiley & Sons. 312 pp..
Kerr RA. (1991): Old bones aren't so bad after all: Science 252: 32-33.
Valentine JW. (1989): How good was the fossil record? Clues from the California Pleistocene. Paleobiol. 15: 83-94.

Meine Bemerkung von p. 12 unten ["es handelt sich nur um ein Postulat unter der Voraussetzung der neodarwinistischen Kontinuitätsidee (wie sonst kommt man auf die genaue Zahl der nicht gefundenen Arten")] trifft sicher auf Prof. K.s Berechnungen zu. Wie obige Ausführungen jedoch zeigen,gibt es auch realistische Ansätze [sowohl von Evolutionstheoretikern als auch Kritikern] zur Frage nach der Vollständigkeit der fossilen Überlieferung. [Hinweis findet sich schon in der Originalarbeit von 1991, S. 25, Fußnote.]

Wie fragwürdig Prof. K.s Behauptung für gut überlieferte Formen ist, zeigen auch folgende Beispiele. Von den Lungenfischen sind 100 fossile Arten beschrieben, macht nach Prof. K.s Rechnung schon 1 Million Lungenfischarten. Bei den Nautiloidea sind über 10 000 (Zehntausend!) fossile Arten beschrieben, ergibt 100 Millionen Arten allein für diese Gruppe etc.

 

Prof. K.

Weil typostatische, eine Nische erfüllende Arten viel mehr Individuen umfassen als schnell evolvierende Gründer- und Übergangspopulationen, ist die Findechance bei jenen natürlich viel größer, und bei diesen können Fossilfunde häufig fehlen. Es folgt daher aus der Additionstheorie, dass Fossilien der Taxaübergänge nur selten oder oft gar nicht gefunden werden. Die Theorie lässt also keineswegs, wie behauptet wird, eine "kontinuierliche Verteilung des Fundmaterials" erwarten.

W.-E. L.

Darwin beurteilt die Situation völlig anders, wenn er schreibt: "Why then is not every geological formation and every stratum full of such intermediate links? Geology assuredly does not reveal any such finely-graduated organic chain; and this, perhaps, is the most obvious and serious objection which can be urged against my theory." Darwin hat wenigstens das Problem noch gesehen und seine Bedeutung verstanden. Denn selbstverständlich lässt die Theorie bei gut überlieferten Formen eine kontinuierliche Verteilung des Fundmaterials erwarten (vgl. Zitat Kuhn oben). (Fett von mir.)

Die "schnell evolvierenden Gründer-und Übergangspopulationen" sind eine Fiktion zur Rettung der Theorie vor der Falsifikation durch die paläontologischen Befunde: Die Populationen sind immer so klein und entwickeln sich immer so schnell, dass davon nichts fossil überliefert werden kann! Tatsache ist, dass die großen morphologisch-anatomischen Unterschiede der Baupläne etc. so früh auftreten, dass die meisten neodarwinistischen Stammbäume auf dem Kopf stehen. Wie sollte denn das Material sonst noch aussehen, um den Neodarwinismus falsifizieren zu können?

Prof. K.

Da die Zahl der Taxaübergänge mit der Höhe der Taxa schnell abnimmt (bei den Kieferfischen z.B. kennt man ca. 40 Ordnungen, 12 Unterklassen und 3 Klassen) werden Übergangsfossilien mit der Taxahöhe seltener.

W.-E. L.

Diese Erklärung für die Abwesenheit der ursprünglich erwarteten Tausenden von Bindegliedern (siehe Darwin oben) ist nicht ausreichend. Denn sie stimmt weder mit den genetischen Fakten noch mit Prof. K.s eigenen bisherigen Erklärungen überein. Da sich der lange Weg zu den höheren Taxa über viele niedere systematische Kategorien (Rassen, Subspezies, Arten etc.) in Hunderttausenden kleinen Mutationsschritten addiert und dazu noch häufig parallel abgespielt haben soll, ist die Zahl der Übergangsfossilien eine Funktion der Fossilisation der Übergangsarten. Die letzteren sollen in den jeweiligen Schlussphasen ihrer Entstehung "schnell wachsen" und dabei ihre Stammpopulationen verdrängen, also selbst zu individuenreichen Populationen werden. Wie oben aufgezeigt, haben selbst noch die angenommenen Übergangsphasen mit ihren durchschnittlich 10 Milliarden Individuen in einer Million Jahren gute Chancen, fossil überliefert zu werden, - wieviel mehr dann die weitverbreiteten "fertigen" über langere Zeitraume stabilen Arten!

Prof. K.

Dass "echte" Übergangsfossilien, d.h. solche mit einem Mosaik von Merkmalen beider Taxa gefunden wurden (z. B. Archaeopteryx (6)) war früher schon dargelegt. Die Befunde über Fossilien widersprechen also der darwinschen Theorie nicht, sie sind deren Folgen.

W.-E. L.

Aber auch diese "echten" Übergangsfossilien sind keine Vorfahren heutiger Lebensformen, denn "Funde von echten Ahnen sind viel zu unwahrscheinlich, als dass man sie fordern kann", schrieb Prof. K. ein Jahr zuvor (vgl. p. 9). Was die Neodarwinisten zur Bestätigung ihrer Theorie brauchen, sind jedenfalls nicht isolierte Mosaikformen, sondern kontinuierliche Übergangsserien bei den gut überlieferten Formen. Übrigens sind von Evolutionstheoretikern wie Thomas Henry Huxley vor ihrer Entdeckung keine Mosaikformen postuliert worden, sondern in allen wichtigen Merkmalen intermediäre Taxa (man vgl. Huxleys Entwurf eines Urvogels im Kontrast zu Archaeopteryx).

Prof. K.

Seltenheit oder Fehlen von Übergangsfossilien sowie schubweises (punktuiertes) wie auch allmähliches (graduelles) Auftreten neuer Fossiltypen in Schichtfolgen sind Folgen des variablen Tempos der additiven Evolution entsprechend der darwinschen Theorie.

W.-E. L.

Alles entspricht der Darwinschen Theorie: Fehlen, Seltenheit, allmähliches und punktuiertes Auftreten. Das Material kann aussehen, wie es will, und wenn der ganze Stammbaum auf dem Kopf steht: nichts widerspricht der Theorie!*

Die Ursache der Situation hat der begeisterte Neodarwinist M. Ruse 1986, p. 513 wie folgt beschrieben:

"With a growing number of distinguished evolutionists - including Ernst Mayr, Edward O. Wilson, and Francisco F. Ayala - I believe that Darwinism is more than just a scientific theory. It is the basis for a full world view, a Weltanschauung. (Nur kursiv von Ruse.)

Könnten gegen die antitheistische Weltanschauung des Neodarwinismus irgendwelche Tatsachen gelten?

_______

*Nachtrag zu diesem Satz von 1991: Der Leser übe bitte wieder Nachsicht mit meinem grimmigen Stil - wahr ist die Aussage jedenfalls!

 


voriges Kapitel - zum Inhaltsverzeichnis - nächstes Kapitel
Internet address of this document: internetlibrary.html
© 2002 by Wolf-Ekkehard Lönnig - loennig@mpiz-koeln.mpg.de
Disclaimer