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2. GALAPAGOS ALS EVOLUTIONSMODELL

Prof. K.

Modellhaft dafür ist die Evolution auf einer isolierten Insel wie Galapagos, ...

W.-E. L.

Die "Evolution" auf den Galapagos-Inseln gehört zu den besten Beispielen gegen das von Prof. K. favorisierte Modell. Denn von der "isolierten Insel" ausgehend sollten die neuen Gründerpopulationen schnell anwachsen, laufend vorteilhafte Erbänderungen addieren, schnell ihre Stammpopulation verdrängen und dabei selbst zu großen Populationen werden. Es ist nun gerade eine der neueren bedeutenden biologischen Entdeckungen, dass Inselpopulationen die (für die Frage nach der Richtigkeit des Neodarwinismus entscheidenden) Kriterien - Verdrängen der Stammpopulation und Ausbreitung zur großen Population - nicht erfüllen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die hervorragende Monographie von J.A. Drake et al. (1989) Biological Invasions (Wiley, Chichester, New York).

Kein Mensch käme auf die Idee, dass etwa die Galapagosfinken vielleicht das Festland Südamerikas erobern, dortige Populationen verdrängen und bei einem Transfer nach Südeuropa und Afrika sich in der Weise ausbreiten könnten, wie z.B. die europäischen Haussperlinge in Nordamerika!

Es ist genau umgekehrt: Die Inselpopulationen müssen vor der Invasion durch weitverbreitete kontinentale Arten geschützt werden! Braun nennt 1989, p. 86, zu dieser Frage empirisch abgeleitete Regeln: "Isolated environments with a low diversity of native species tend to be differentially susceptible to invasion." (p .92:) "Rule 2: species that are successful invaders tend to be native to continents and to extensive, nonisolated habitats within continents." (p. 96:) "The fact that there are almost no good examples of successful invaders of continents that have come from small islands and other depauperate faunas...suggests that biotic resistance from diverse native species can be effective in repelling invaders." Macdonald et al. 1989, p. 234: "Although only a small percentage of the world's land and freshwater avifauna occurs on oceanic islands '93 % of the 93 species and 83 subspecies of birds that have become extinct since 1 600 A.D. have been island forms" (King, 1985)" (p. 235:) "Honegger (1981) lists two amphibians and 28 reptile taxa known to have become extinct since 1 600 A.D. The reptiles were all island forms and introduced species are implicated in the extinction of at least eight of them and one of the two amphibians." Loope et al. 1989, p. 272: "The rigor of natural selection in such an evolving insular system may be relaxed by a large number of bottle necks (founder events) many groups have undergone in island hopping. ...in many instances (the island forms) may not be so well adapted as the 'general purpose genotypes' of invasive introduced species." Pimm 1989, p. 355: "Species with larger ranges were more likely to be successful than species with smaller ranges. ...Many introductions will succeed only if their numbers can increase quickly, beyond the small population size where extinction is likely." (Derselbe Autor davor p. 352:) "The chance of extinction rapidly increases as population sizes decrease. Even in a perfectly constant environment, small populations face risk of extinction from demographic accidents - the chance fluctuations of deaths and births, and consequent changes of numbers and sex ratios." Zu den weiteren Risiken auszusterben, zählt er eine geringe Zuwachsrate der Population.

Die letzteren Beobachtungen sind auch besonders aufschlussreich für die Frage der Evolution der Arten in kleinen Populationen in 100 000 bis 10 000 000 Jahren (vgl. Prof. K. oben). Die postulierte Evolution ist aus demographischen und genetischen Gründen unwahrscheinlich und kann daher nicht als Regel für den Ursprung der Arten akzeptiert werden.

Weitere Autoren sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Wills diskutiert (1990, p. 398) das Problem im Zusammenhang mit der "mitochondrialen Eva" und einer durchschnittlichen Populationsgröße von 5 000 Frauen: "Such small sizes would have to be maintained for thousands of years with an attendant risk of extinction:" Und er macht folgenden Vergleich: "The risk posed to the survival of the population in (this) ...case is equivalent to the risk of crossing the Niagara Falls on a tightrope." (Hervorhebungen im Schriftbild von mir wie auch im folgenden Absatz, außer can.)

Rabb und Lacy schreiben 1990, p. 612 zum Thema Endangered Species Biology: "Genetic homogeneity can imperil a species, but such inbreeding occurs as a consequence of population decline and fragmentation. It is just one of several interacting factors that come into play when a population becomes so small that its fate is determined more by randomness than by fitness. ...Once populations are reduced and isolated, deleterious genetic and demographic factors ensue that serve to weaken further the survival of the species. The smaller populations also become progressively more vulnerable to environmental catastrophes. Even with amelioration of environmental circumstances, for example, provision of security in protected areas or zoological parks a species may go too far down the so-called "extinction vortex" of multiple causes to be recoverable."

Kleine Populationen über große Generationenzahlen mit vielen rezessiven Mutationen sind also ein denkbar ungünstiger Ausgangspunkt zur Erklärung des schlagartigen Auftretens der kambrischen und anderen Lebensformen und der Tatsache, dass die zeitlichen Maxima der Baupläne und höheren systematischen Kategorien vor den niederen auftreten!

Bei Populationen von im Durchschmtt 10 000 Individuen (vgl oben: 5 000 Frauen) und 1 Million Generationen wären pro Artbildung 10 Milliarden Individuen notwendig gewesen - war da wirklich keine Chance zur Fossilisation? Die Geologen Bennison und Wright rechnen in Anlehnung an die Arbeit Shaws im Durchschnitt mit 1 Fossil pro 1 Million Individuen! Selbst Galapagosfinken sind fossil überliefert! (Vgl. Grant 1984). Und wie steht es dann mit Foraminiferen, Korallen, Brachiopoden, Cephalopoden etc., die bestens dokumentiert sind?

Prof. K.

...Galapagos, wo Darwin Anregungen zu seiner Theorie erhielt.

W.-E. L.

Nach Auffassung mehrere Wissenschaftshistoriker handelt es sich hier um einen Mythos. Darwin ist z.B. erst vom Ornithologen J. Gould nach seiner Wiederkehr in England auf die Unterschiede bei Mimus-Arten aufmerksam gemacht worden. "In retrospect, he (Darwin) was astonished at what he saw there" Berry 1984, p.1.

Prof. K.

Diese Verzweigung (Typogenese) geschieht meist relativ schnell, da das Evolutionstempo während der Einpassung in neue Nischen (Lebensweisen) meist hoch ist.

W.-E. L.

Auf den Galapagos hat keine Typogenese stattgefunden! Selbst die Artbildung bei den Finken ist noch zweifelhaft: "Intersterility is not known in Darwins finches. Intrageneric hybrids among ground finches are certainly both viable and fertile...and probably the same is true for intergeneric hybrids between tree finches and warbler finches" (Grant 1986, p. 353). "...six species of Geospizina (finches) in the Galapagos Islands show a genetic distance from 0.004 to 0.065" (Nei 1987, p. 245). Beim Menschen liegen die Unterschiede zwischen 0.01 und 0.03. Die geringen genetischen Distanzen von Inselbewohnern stehen im klaren Kontrast zu den morphologischen Unterschieden wie wir das auch bei den Haustieren finden. (Das sind weitere Beweise, dass morphologische und genetische Distanzen nicht miteinander gekoppelt sein brauchen.) Bei den Haustieren verzichtet man darauf, neue systematische Arten und Gattungen aufzustellen, - in der Natur aber schafft man ohne Rücksicht auf die genetische Situation zahlreiche Morphospezies und Morphogenera, die häufig unkritisch als Evolutionsbeweise eingesetzt werden. Loop et al. weisen 1989, pp. 271/272, in ihrer zusammenfassenden Studie auf den generellen Trend geringer genetischer Distanz von morphologisch und ökologisch stark divergierenden (verwandten) Insel-"arten" hin. Bei der Hawaiischen Tetramolopium (Asteraceae) beispielsweise haben Lowry und Crawford 19 Populationen von 7 "Arten" untersucht: "The 'mean genetic identity for pairwise comparison...is 0.95, a very high value normally obtained for conspecific plant populations.'"

Die flugunfähigen Galapagos-Kormorane verdeutlichen sehr klar die sich in kleinen Populationen schnell abspielende Degeneration von Strukuren durch Inzucht (ein längerer Abschnitt mit vielen weiteren Beispielen bei mir 1990), - ein Prozess, der durch das homozygote Auftreten zahlreicher (schon in der großen Population angesammelter) rezessiver Allele direkt und schnell zu erwarten ist.

Was wir finden, ist nicht Typogenese, sondern Typo1yse! Daraus erklärt sich auch die geringe Resistenz von Inselpopulationen gegen Invasoren und die hohe Aussterberate etc. Der Vergleich mit den Haustieren veranschaulicht die Situation in mehreren Aspekten. Bei beiden Gruppen finden wir: 1. Geringe genetische Distanz, aber große morphologische Variabilität innerhalb der Arten (bei den Hunden z.B. könnte man eine neue Familie mit mehreren Gattungen und über 400 "Arten" aufstellen, ebenso bei den Zuchttauben, Hühnern etc.). 2. Bildung zahlreicher Ökotypen. 3. Kleine Populationen und Inzucht als Ausgangspunkt der "Artbildung". 4. zahlreiche im Vergleich zum Wildtyp rezessive Gene. 5. Genetische Drift; ursprünglich schärfere Selektionsbedingungen (for differential survival) fallen weg, später aber gibt es auch Selektion auf bestimmte Phäno- und Ökotypen. 6. Geringe Resistenz im Vergleich zu weitverbreiteten Wild-Populationen. 7. Häufige Degeneration und Abbau von Strukturen; physiologische Kompensationsmöglichkeiten. 8. Keine Bildung neuer primärer Arten.

Fazit: Keine Erklärung der paläontologischen Befunde!

Prof. K.

Ist dann eine Nische schon lange mit einer sie voll nutzenden, individuenreichen Art besetzt, so sind progressive Erbvarianten über lange Zeit selten, die Evolution scheint zu stagnieren (Typostase). Werden ungünstige Umweltänderungen nicht durch dagegen resistente Erbvarianten aufgefangen, stirbt die Population aus.

W.-E. L.

Da nun gerade die individuenreiche Art durch die gesetzmäßig auftretenden rekurrenten Mutationen über ein wesentlich größeres Allelpotential verfügen muss, als eine kleine Population, ist es fraglich, warum die erstere ungünstige Umweltverhältnisse u.U. nicht abfangen kann, während die individuenarme mit geringem Genpotential (siehe oben) zur schnellen Evolution fähig sein soll! In der Regel müsste die weitverbreitete Art mit ihrem viel größeren Potential an vielen Stellen gleichzeitig die neuen Verhältnisse durch Allelsubstitution abfangen können und damit bessere Überlebenschancen haben als die kleine Population mit ihren geringen Möglichkeiten in derselben Situation - was, wie wir ja gesehen haben, auch der Fall ist.

Prof. K.

Nach der Theorie kann also das Evolutionstempo je nach Umständen von (geologisch) schnell bis langsam variieren (5).

W.-E. L.

Da mit dem Begriff Evolution der Ursprung aller Lebensformen impliziert wird, sei hier festgestellt, dass Prof. K.s Theorie weder den Ursprung der primären Arten noch der höheren systematischen Kategorien und Baupläne erklären kann. Nach den vorliegenden Befunden ist es das Degenerationstempo, das je nach Umständen (geologisch) schnell bis langsam variieren kann.


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