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3. ADDITIVE REKOMBINATION VON 30 MUTIERTEN LOCI

Selbst diese (von mir gar nicht beabsichtigte) Methode zur Gewinnung einer vielfach mutierten homozygoten Linie hat nicht den Unmöglichkeitscharakter, der ihr von Prof. K. zugeschrieben wird. ("In der letzten F2-Generation wäre die 30fach Homozygote...unter Trillionen F2-Nachkommen zu suchen.")

Zunächst seien die Individuenzahlen genannt, auf die wir Genetiker im Rahmen bestimmter Forschungsprogramme mit höheren diploiden Organismen leicht kommen können: Arbeiten über Drosophila mit 1 Million Fliegen und mehr sind wiederholt publiziert worden. Ich selbst habe in den letzten Jahren über eine halbe Million Antirrhinum-Pflanzen ausgewertet [Nachtrag 2002: Inzwischen etwa 1,2 Millionen]. Und dass die Zahlen bei Mikroorganismen buchstäblich in die Trillionen gehen können und durch Plasmidrekombination immer wieder Mehrfachresistenzen auftreten, sei dabei nur am Rande erwähnt.

Wie erhält man nun eine 30fach homozygote Linie bei Diplonten durch Rekombination? Drei Möglichkeiten stehen dem Genetiker zur Verfügung: Er wählt aus dem bereits vorhandenen Potential gut bearbeiteter Arten wie Drosophila, Pisum, Hordeum etc. mehrere Linien der durch klassische Genlokalisationsstudien entstandenen Mehrfachrekombinanten aus, und er wird dabei seine Aufmerksamkeit auf die Kopplungsgruppen konzentrieren, die ja bekanntlich einigermaßen konstant und zusammenhängend vererbt werden (völlig konstant können sie kaum sein, sonst hätte man sie nicht rekombinieren können). Aber bei Spaltungen wie 998 : 2 : 2 : 998 (vgl. Gottschalk 1989, p. 127) sind wir für unsere Zwecke schon gut aufgehoben. Solche Linien mit unterschiedlichen Kopplungsgruppen (möglichst auf verschiedene Chromosomen verteilt), die als neue "Erbeinheiten" frei (oder annähernd frei) rekombiniert werden können, werden jetzt miteinander gekreuzt. In der letzten F2-Spaltung findet man dann die gewünschte 30fach Homozygote bei jeweils:

2

gekoppelten Genen unter

1 073 740 000

Individuen

 

3

gekoppelten Genen unter

1 048 576

Individuen

 

4

gekoppelten Genen unter

65 563

Individuen

(32fach homozygot)

5

gekoppelten Genen unter

4 096

Individuen

 

Durch Rückkreuzungen der F1en mit einem homozygoten Elter kann man die Zahlen noch weiter reduzieren!

Man braucht also die Trillionen von F2-Nachkommen überhaupt nicht. Es ließe vielleicht einwenden, dass wir für die neodarwinistische Evolution immer positive Genmutationen rekombinieren wollen und diese desöfteren ungekoppelt auftreten werden. Dabei wird vergessen, dass auch sämtliche gekoppelten Loci durch Mutationen entstanden sein sollen, und das durch viele hundert Mutationsschritte in fast jedem einzelnen Gen! (Viele Gene umfassen sogar tausend bis zweitausend Nukleotide und mehr.) Und jeder einzelne Schritt soll dabei einen positiven Selektionswert gehabt haben! Wenn das also den Unwahrscheinlichkeitsgrad hätte, der für die Gültigkeit des Einwandes nötig wäre, dann würde man damit wieder die gesamte Zufalls-Evolution in Frage stellen. Obwohl es sowieso kaum positive Zufallsmutationen gibt, weder gekoppelt noch ungekoppelt - das meiste der tragbaren Variation spielt sich im neutralen bis schwach nachteiligen Bereich ab - , so wollen wir der Argumentation halber den Einwand gelten lassen und zur schrittweisen Rekombination von 30 mutierten Einzelgenen übergehen. Dafür stehen wenigstens zwei Ansätze zur Verfügung, ein recht aufwendiger und ein eleganterer, weniger aufwendiger:

Nehmen wir zuerst den Aufwendigen: Statt von der von Prof. K. vorgeschlagenen (nicht praktikablen) Methode würde man zunächst einmal mehrere (sagen wir 7 oder 8) unterschiedliche l0fach homozygote Linien aufbauen und dann versuchen, diese zu 20 - 30fach homozygoten Linien zu rekombinieren. Es wäre nun wenig sinnvoll, eine 20fach Homozygote unter 1,09 Billionen F2-Nachkommen zu suchen. Die F1 wird vielmehr mit einer der beiden Ausgangslinien zurückgekreuzt. Der durch 10 homozygote Loci bestimmte Phänotyp des einen Elters tritt dann in der R-Generation im Verhältnis von 1023 : 1 auf und dieser Phänotyp ist meist in weiteren der gesuchten Loci heterozygot. Nach Selbstung spalten jetzt nur noch diese heterozygoten Loci. Um das zunächst in allen übrigen gewünschten Loci heterozygote und nach Selbstung homozygote Individuum zu erhalten, brauche ich wiederum etwa 1 000 der in den Genen des Rückkreuzungselters homozygote Pflanzen mit jeweils 1 Million Nachkommen. Unter etwa 2 Milliarden Pflanzen dürfte man dann die 20fach Homozygote finden (immerhin schon eine Verkürzung um den Faktor 500, aber noch wenig praktikabel). Um den Weg abzukürzen, würde man nach Rückkreuzung mit einem Elter auf Haploiden-Kulturen umsteigen und man erhält seine 20fach Homozygote unter etwa 1 Million Pflanzen (eine Verkürzung um den Faktor 1 Million!). Die 20fach Homozygote wird mit der nächsten 10fach homozygoten Mutante gekreuzt, die in 30 Genen heterozygote F1 würde man mit dem 20fach homozygoten Elter zurückkreuzen und die in der R-Generation im Verhältnis 1 : 1,05 Millionen auftretende 20fach Homozygote, die wiederum in weiteren der gesuchten Loci heterozygot sein wird, selbsten und/oder in Haploiden-Kulturen bearbeiten etc., um sich der 30fach Homozygoten zu nähern. Immerhin braucht man jetzt "nur" noch 1 Milliarde Pflanzen oder Drosophila-Individuen, um die 30fach Homozygote zu erhalten. Um den Heterozygotiegrad in der R-Generation zu erhöhen ist auch die Kreuzung von zwei 20fach homozygoten Linien in Erwägung zu ziehen. [Falls immer noch 2 oder 3 mutierte Gene fehlen, könnte man schließlich auch wieder direkt Mutationen bei den Rekombinanten induzieren, die Methoden also kombinieren.]

Die zweite Methode ist wesentlich praktikabler und eleganter. Man kreuzt Linie 1 (Allele aa) seiner 30 mit je einem homozygoten rezessiven Locus ausgezeichneten Linien mit den übrigen 29 und eliminiert in der jeweiligen F2 die Allele AA (so dass das dominante Allel AA für die weiteren Schritte nirgends mehr auf taucht). Linie 2 (Allele aa bb) wird mit den übrigen 28 Linien gekreuzt (die bereits alle aa sind), Allel B eliminiert, Linie 3 (Allele cc) wird mit den übrigen 27 gekreuzt und Allel C eliminiert, Linie 4 mit den ihrigen 26 gekreuzt und Allel D eliminiert etc. etc. Bei Linie Nr. 30 hat man dann seine 30 rezessiven homozygoten Loci zusammen, Versuchsaufwand: etwas über 100 000 Individuen!

Abgesehen davon, dass das Rekombinationsziel - die Bildung einer neuen Art - mangels positiver artüberschreitender Mutationen unrealistisch ist, so wäre doch die Rekombination als solche im Fall 1 mit einem Stab von 300 Genetikern und 9 000 Mitarbeitern in etwa einem Jahrzehnt zu erreichen (jeder Genetiker müsste dann mit seinen 30 Mitarbeitern jährlich 1 Million Pflanzen bearbeiten) und im Fall 2 brauchen wir nur noch 1 Genetiker mit 2 - 3 Mitarbeitern (15 Jahre). Aber keine Forschungsgemeinschaft würde für eine solches Projekt Gelder zur Verfügung stellen; denn wer kann schon 30 durch Mutationsinduktion positiv veränderte Loci aufführen - gekoppelt oder ungekoppelt - die man mit guter Aussicht auf Erfolg zu einer neuen Art kombinieren könnte? Diese Loci müssten ja auch in allen ihren Interaktionen positiv sein.

Der Aufwand für ein solches immer noch reichlich umständliches klassisches Rekombinations-Projekt könnte jedoch durch den Einsatz modernster molekulargenetischer Techniken (Site-directed Mutagenesis, Klonierung mutierter Gene, Transformation von Rekombinanten, Anti-Sense-RNA, somaklonale Variation, Transposon-induzierte-mehrfach-Mutanten etc.) weiter reduziert werden.

Machbar ist das also heutzutage. Aber das Unternehmen zur Demonstration der Makroevolution wäre fragwürdig, weil der Neodarwinismus als theoretische Basis falsch ist. Als einer der ganz großen Kenner seines Faches kam Goldschmidt nach Jahrzehnten intensiver mutationsgenetischer Forschungsarbeiten bei Drosophila zu dem Ergebnis, dass selbst die Rekombination von tausend der bisher bekannten mutierten Loci bei Drosophila noch keine neue Art ergäbe.


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