2. GENDIFFERENZEN INNERHALB DER ARTEN
Meine Aussage "...Gendifferenzen haben wir auch innerhalb von Arten genug (beim Menschen und anderen Organismen gehen die DNA- und Proteinpolymorphismen in die Tausende), und wir müssten allein durch Rekombination und Selektion schon ununterbrochen neue Arten erzeugen können" ist von Prof. K. als Vorschlag schrittweiser Rekombination von einzelnen mutierten Genen aus jeweils verschiedenen Linien interpretiert worden (siehe oben). Ich hatte hingegen etwas ganz anderes im Sinn:
Singh und Rhomberg berichten z.B. im Rahmen einer groß angelegten Proteinstudie zur Frage nach der genetischen Variation in natürlichen Populationen von Drosophila melanogaster (1987, p. 257):
"An average population is polymorphic for 43 % of its gene loci and an average individual is heterozygous for 10 % of its gene loci."
Beim Vergleich verschiedener Populationen von D. melanogaster erhöht sich der Prozentsatz polymorpher loci auf 52%. Dabei ist anzumerken, dass die gebräuchlichen Nachweismethoden erst einen Teil der Proteinpolymorphismen erfassen und dass auf der DNA-Ebene der Prozentsatz der Polymorphismen noch höher liegt als auf der Proteinebene. Aber bleiben wir bei den genauer bekannten Daten:
5 000 bis 6 000 Gene zählt man für Drosophila (Suzuki et al. 1989). Nehmen wir die Zahl 5 000 als Grundlage, so folgt daraus, dass innerhalb einer Population der Art D. melanogaster bereits 2 150 polymorphe Loci vorliegen, wobei das durchschnittliche Individuum in etwa 500 Genen heterozygot ist. Im Idealfall unterscheiden sich also die Individuen ein und derselben Population in 1 650 und mehr homozygoten Loci voneinander und in der Realität desöfteren in einigen hundert Loci! ( - Zumindest zwischen den Populationen. Und an dieser Stelle sei wieder betont, dass noch nicht einmal die Hälfte aller Proteinpolymorphismen in den von Singh und anderen publizierten Arbeiten nachgewiesen sind und weiter hervorgehoben, dass man bei komplexeren Organismen wie dem Menschen mit etwa 50 000 Genen rechnet.) Prof. K. behauptet jedoch in seiner ersten Antwort (1989), dass für die Bildung einer neuen Art mindestens 100 - 1 000 Mutationen zu addieren waren, und nach meinen Einwänden (siehe oben) rechnet er in seiner zweiten Antwort (1990) nur noch mit 30 mutierten Allelen. Meine Aussage ist nun, dass der ganze neodarwinistische Ansatz mit seiner kontinuierlichen Akkumulation von Mutationen verfehlt ist, da wir bereits innerhalb von Populationen größere Zahlen von Gendifferenzen vorzuliegen haben, als von Prof. K. für die Bildung neuer Arten gefordert wird.
Wenn wir darüber hinaus die in natürlichen Populationen vorliegenden Polymorphismen und die sich ununterbrochen abspielende Rekombination und z.T. auch Selektion (die uns bereits innerhalb von Arten größere genetische Unterschiede liefern als von Prof. K. für die Artbildung postuliert) noch zusätzlich in der Weise ausnutzen, dass wir sehr unterschiedliche Individuen auswählen und miteinander kreuzen, dann müssten schon in der F2 bei den vielen gekoppelten und ungekoppelten Gendifferenzen laufend Individuen herausspalten, die sich voneinander in 30 oder hundert und mehr Loci homozygot unterscheiden. Dabei geht es nicht um die eine maximal homozygote Rekombinante, die man erst in großen Nachkommenschaften von Trillionen von Individuen erwarten darf, sondern um die vielen, die bereits in der F2 und den folgenden Generationen in den postulierten Gendifferenzen vorliegen.
Man kann auch aus den unterschiedlichen Rekombinanten natürlicher Populationen reine Linien durch Inzucht gewinnen, so dass sich die homozygoten Nachkommen verschiedener Wildtypen schließlich in Hunderten von Genen unterscheiden (in 10 Inzuchtgenerationen erreichen wir bereits über 99% Homozygotie; vgl. Lönnig 1984, dort weitere Literatur). Nach neodarwinistischen Voraussetzungen müssten dabei laufend neue Arten entstehen. Das ist jedoch weder in der Natur noch im Experiment der Fall.
Aus diesen Befunden haben die meisten Genetiker den Schluss gezogen, dass für die Entstehung der Arten und höheren Kategorien nicht die bekannten durch Mutationen entstandenen Polymorphismen in Strukturgenen zuständig sein können, sondern die spezifischen Funktionen weniger Regulatorgene, die stark konserviert und wenig variabel sind (ausführliche Diskussion und umfangreiche Literaturangaben bei Lönnig 1990). Auch für die Entstehung solcher Regulatorgene durch Zufalls-Mutationen gelten die nach Walter Heitler berechneten Unwahrscheinlichkeiten (siehe oben), und die Variabilität von Regulatorgenfunktionen unterliegt ebenfalls dem Gesetz der Rekurrenten Variation.