Werner J. Gieffers* (2003): Gedanken zur Begründung der Namenserweiterung der Sektion 8 in der Leopoldina durch Bert Hölldobler**
Wenn die Leopoldina die Benennung ihrer Sektion 8 erweitert, ist man geneigt anzunehmen, dass es sich eher um einen Geschäftsvorgang handelt, der eine nähere Kommentierung erübrigt. Doch eine Analyse des kurzen Berichts von Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Hölldobler zu dieser Umbenennung führt zu grundsätzlichen Fragen und Anmerkungen zum Wissenschaftsverständnis, zur Freiheit der Forschung und zur Toleranz. Dabei ist nicht die Ausrichtung dieser Sektion auf die Evolutionslehre kommentierungswürdig, sondern deren Begründung.
Das Zitat von Dobzhansky "Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution" hat durch den Gebrauch religiöser Symbole keine naturwissenschaftliche Überzeugungskraft, so dass der Bezug darauf wie ein afterreligiöses Bekenntnis anmutet, das die Dominanz des Lehrsatzes einer Fachautorität bedingungslos akzeptiert. Eine Theorie - unter Beibehaltung der Terminologie -, die suggeriert, dass die Vernichtung des Schwächeren das Leben begründen würde, wäre dann schon zutreffender mit dem Bild der Finsternis umschrieben worden.
Im Folgesatz ist der Schwenk zum Wissen um die Tatsache der Evolution reine Grammatik. Nicht die biologischen Fakten, auf die sich diese Lehre bezieht, begründen eine Evolution, sondern nur deren Deutung nach einem vorgefassten Weltbild. Evolution existiert als Deutungsversuch, aber nicht als biologische Tatsache.
Den Vorwurf der Pseudowissenschaft muss sich wohl jede Wissenschaftsrichtung gefallen lassen, die lediglich die eigene Deutung eines Phänomens zur unumstößlichen Tatsache deklariert. In dieser dogmatischen Anmaßung fallen unverkennbar Parallelen zwischen Evolutionslehre und Kreationismus auf. Bekannterweise schwindet die Bereitschaft zur Toleranz um so mehr, desto heftiger Unbewiesenes oder eigene Interessen zur Tatsache erklärt werden. Auch die Erkenntnisfähigkeit schwindet. Dass "Intelligent Design" keine Tarnkappe des Kreationismus ist, sondern einen ganz anderen Deutungsversuch biologischer Fakten verfolgt, ist dem Autor offensichtlich entgangen. Da es aber nach dem evolutionistischen Selbstverständnis mancher Evolutionisten keine anderen Erklärungen zum Phänomen Leben geben kann und darf, werden die Auffassungen Andersdenkender von Herrn Hölldobler als "Unsinn" gebrandmarkt. Es gibt eine wissenschaftliche Redlichkeit, die weder Diffamierung noch Diskreditierung zulässt, sondern allein das schlagende Sachargument gelten lässt, was aber in den Ausführungen von Herrn Hölldobler nicht erkennbar ist.
Der Autor geht sogar soweit, zu behaupten, dass das Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung Köln diesen "Unsinn" auf einer offiziellen Webseite propagiert. Die gemeinte Webseite stellt aber, für jeden User erkennbar, keine offizielle Meinung des Instituts dar (das allgemein nach der Evolutionstheorie forscht und arbeitet), sondern lediglich die eines Mitarbeiters, der an diesem Institut noch frei seine Meinung äußern kann.
Solange zum Phänomen Leben noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, wird mit theoretisch sich widerstreitenden Deutungsversuchen zu rechnen sein. Denk- und Meinungsverbote, Autoritätenhuldigungen, Meinungsmehrheiten sowie dogmatische und ideologische Zwänge sind ungeeignet, Leben in all seinen Erscheinungen zu erkennen. Der Erkenntnisweg dorthin wird nur mit Respekt und Toleranz und in Zusammenarbeit möglich sein.
Dr. Werner Josef Gieffers*
Köln, 11. März 2003
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*Werner Gieffers (60) ist Senior Scientist am MPIZ in Köln.
**Text nach Ulrich Kutschera gemäß seiner Homepage vom 10. und 13 . März 2003 an der Universität Kassel (Zahlen in Klammern und Anmerkungen dazu von Wolf-Ekkehard Lönnig [Fortsetzung folgt; im Moment zahlreiche andere wissenschaftliche Aufgaben]):
Organismische und Evolutionäre Biologie
Der Senat der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina hat in seiner Sitzung am 12. Februar 2003 einstimmig beschlossen, die Benennung der Sektion 8 zu erweitern. Diese große Sektion, der hochangesehene Wissenschaftler aus aller Welt angehören, heißt jetzt "Organismische und Evolutionäre Biologie" (1). Die von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Bert Hölldobler (Universität Würzburg) vorgelegte Begründung lautet wie folgt:
"Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution" (2), dieser oft zitierte Satz stammt von dem großen Evolutionsbiologen und Begründer der modernen Populationsgenetik, Theodosius Dobzhansky (3). Heute wissen wir auf Grund eines vielfachen und vielfältigen Beweismaterials, dass Evolution der Organismen keine Theorie, sondern Tatsache ist (4).
Nahezu die gesamte biologische Forschung hat eine mehr oder weniger starke Beziehung zur Evolutionsbiologie (5). Allerdings ist keine andere Organisationsebene der Biologie so unmittelbar von der Evolutionsbiologie geprägt, wie die organismische Biologie.
Die zwei großen Themen der Evolutionsbiologie, Phylogenese und Adaptation stehen im Zentrum der Forschungsprogramme der organismischen Biologie (6). Molekularbiologische Werkzeuge werden zur Erforschung der Stammesgeschichte der Organismen, der Speziation und Makroevolution überaus erfolgreich eingesetzt (7). Moderne Populationsgenetische Methoden haben in vielfältiger Weise gezeigt, dass Organismen der Angriffspunkt der Selektion sind, und dass durch Selektionsprozesse (neben genetischer Drift) Genfrequenzen in Populationen verändert werden (8). Dies sind wesentliche Forschungsbereiche der organismischen Biologie. In unmittelbarer Beziehung dazu stehen die analytischen Untersuchungen der entwicklungsbiologischen, morphologischen, physiologischen und verhaltensbiologischen Adaptationen von Organismen, die wesentlich dazu beitragen, die Möglichkeiten und Grenzen von evolutionären Anpassungen zu verstehen (10). Die Sektion will sich deshalb in Zukunft auch stärker um das Gebiet der "evolutionären Verhaltensbiologie" kümmern (11).
Die Pseudowissenschaft "Creationismus", die in einigen Bundesstaaten der USA eine beachtliche Anhängerschaft hat, breitet sich in jüngerer Zeit auch in Deutschland aus (12). Bisweilen tritt sie unter der Tarnkappe "Intelligent Design" in Erscheinung (13) und wird als solche sogar auf einer offiziellen Web-Page des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung, Köln, propagiert (14). Um gegen diesen Unsinn (14) auch ein äußeres Zeichen zu setzen, beantragen wir wenigstens für eine Sektion der Leopoldina den Begriff "Evolutionäre Biologie" aufzunehmen (15). Die Sektion 8 ist aus unserer Sicht dafür am besten geeignet, wenngleich uns natürlich bewusst ist, dass auch in anderen Sektionen die Evolutionsbiologie eine Rolle spielt (16).
Mit unserem Anliegen sind wir in sehr guter Gesellschaft (16). Die National Akademie der USA hat die Sektion for organismische- und Populationsbiologie in Evolutionsbiologie umbenannt (17). In der American Academy of Arts and Sciences gibt es eine große Sektion "Evolutionary and Population Biologie and Ecology". Die Leopoldina sollte wenigstens eine Sektion haben, die sich kompetent zu allen Fragen der Evolutionsbiologie äußern kann (18).
Anmerkungen von Wolf-Ekkehard Lönnig
(1) "Wenn über wissenschaftliche Wahrheit eine Abstimmung entscheiden würde, so müsste die neodarwinistische Lehre als anerkannte Wahrheit gelten" (A. Portmann). However: "The argument from majority opinion has never impressed me. Had it been effective a century [and a half] ago, evolution could never have raised its head. It is no more valid now...Science is interested only in truth, not in its adherents or their prestige" (E. Shute). "Unfortunately, there is no necessary correlation between conviction and fact, anymore than there is between number of supporters and truth...Perhaps the most objectionable aspect of claims of universal acceptance of an idea is the tendency to label in advance any persons who dare to deny the claims as being reactionary or unscientific. This tends to prevent reply, for scientists are only human. Few have the time to prepare replies to unsound, illogical, but attractive claims put forward under the guise of universally accepted principles" (R.E. Blackwelder).
(2) Die Zusammenhänge zwischen den Lebensformen werden von der herrschenden Evolutionslehre ausschließlich realgenetisch interpretiert (d.h. durch Mutation, Rekombination, Selektion, genetische Drift etc. zustande gekommen gedacht). Die Frage ist jedoch, inwieweit wir von den Phänomenen und Faktoren der Mikroevolution auf den Ursprung aller Lebensformen extrapolieren können. Hier zeichnen sich bei gründlich-kritischer Betrachtung - und im Gegensatz zu den Behauptungen der Synthetischen Evolutionstheorie - empirisch feststellbare Grenzen ab (vgl. Sie bitte zu dieser Frage z. B. die Ausführungen zu den Themen Mutationen: Das Gesetz der rekurrenten Variation und ARTBEGRIFF.) Wenn daher der Zusammenhang in weiten Bereichen (etwa oberhalb der systematischen Kategorie der Familie - Details in der Artbegriffsarbeit) nicht realgenetischer Natur ist, d.h. nicht auf Abstammung zurückgeführt werden kann, dann darf die Frage nach ideellen Zusammenhängen gestellt werden. Die "idealistische Morphologie" hat in mehr als 200 Jahren Forschungsarbeit gezeigt, dass man (auch ohne abstammungstheoretische Interpretationen) die Zusammenhänge zwischen den Lebensformen erfolgreich herausarbeiten kann. Für entscheidende Fragen der Biologie könnte man daher Dobzhanskys Satz auch wie folgt umformulieren: "Nothing in Biology makes sense, except in the light of Intelligent Design." - Für eine möglichst realistische Beurteilung der Ursprungsfragen sind tatsächlich jedoch beide Konzepte zu berücksichtigen: Mikroevolution und Intelligent Design.
(3) Theodosius Dobzhansky ist nicht der Begründer der modernen Populationsgenetik. Die Grundlagen der Populationsgenetik wurden "bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. erarbeitet" (Storch/Welsch/Wink 2001, p. 227 [Evolutionsbiologie, Springer-Verlag, Berlin]). "In 1908, the English mathematician G. H. Hardy and the German physician W. Weinberg independently bridged the gap between Mendelian genetics and population phenomena, thereby forming the basis of modern population genetics" (P.W.Price 1996, p. 316 [Biological Evolution, Saunders College Publishing, Fort Worth]). Damals war Theodosius Dobzhansky 8 Jahre alt! Zu Weinberg vergleichen Sie bitte weiter DIE REAKTION DES DARWINISMUS sowie das Kapitel BEISPIELE... (etwa in der Mitte) und zu Dobzhanskys GENETICS AND THE ORIGIN OF SPECIES (1937) Die SYNTHESE.... Ich möchte vorschlagen, dass Kommentatoren meine Homepage erst einmal gründlich studieren, bevor sie sie als "Unsinn" beschimpfen. - Übrigens darf man wohl erstaunt sein, dass keiner der qualifizierten Forscher aus dem Senat der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der in seiner Sitzung am 12. Februar 2003 einstimmig beschlossen hat, die Benennung der Sektion 8 im oben zitierten Sinne zu erweitern, gegen diese biologiegeschichtlich falsche Aussage von Herrn Hölldobler Einspruch erhoben hat. Aber vielleicht meldet sich zu dieser Frage in Zukunft einer der (zu dieser großen Sektion gehörenden) "hochangesehenen Wissenschaftler aus aller Welt" zu Wort (um wieder Herrn Kutscheras Formulierung zu gebrauchen; kompetente Forscher sind dort jedenfalls in großer Zahl vorhanden). Es sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass zu den evolutionstheoretischen Möglichkeiten und Grenzen der Populationsgenetik Walter James ReMine in seinem Buch THE BIOTIC MESSAGE (1993) einen hervorragenden Beitrag geleistet hat.
(4) Vgl. Sie bitte zu dieser Behauptung meine Ausführungen zum Thema SYNTHETISCHE EVOLUTIONSTHEORIE VS. INTELLIGENT DESIGN, woraus ich folgende Passage wiedergeben möchte: "Herr Kutschera schreibt: "Evolution ist heute eine Tatsache, die durch das Aussagen-System Synthetische Theorie beschrieben und erklärt wird." Mit Evolution meint Kutschera die Theorie des realgenetischen Zusammenhangs aller Lebensformen durch Abstammung von einer aus unbelebter Materie hervorgegangenen ersten Zelle allein aufgrund der uns bekannten materiellen Gesetzlichkeiten. "Die Makroevolution (transspezifische Evolution) ist aus zahlreichen kleinen Mikroevolutionsschritten zusammengesetzt (additive Typogenese)" (7).
Nun möchte ich Herrn Kutschera zunächst einmal bitten, uns mit diesem Ansatz testbare Hypothesen zu den auf meiner Homepage diskutierten Beispielen von Utricularia, Coryanthes, Catasetum oder anderen Synorganisationsphänomenen vorzulegen. - Die postulierte Makroevolution in "kleinen Mikroevolutionsschritten" ist weder in der Natur beobachtbar noch im Labor oder auf Versuchsfeldern reproduzierbar. Tatsächlich ist das Postulat der Gesamtevolution durch Mutation und Selektion ein integraler Bestandteil der Synthetischen Theorie selbst und die Evolution steht nicht etwa als zu erklärende Tatsache darüber. Daher kann z.B. die Schule von Prof. C. Schwabe (Biochemiker an der Universität South Carolina und ebenfalls überzeugter Atheist) die Evolution auch ablehnen (8). Wer hingegen die Grundaussagen einer Evolutionstheorie (allgemeiner Abstammungszusammenhang durch extrapolierte Mikroevolution und/oder andere Faktoren) zur Tatsache erklärt und damit als "endgültig verifiziert" betrachtet, entzieht sie der Falsifizierbarkeit und es gilt Poppers Wort, dass er das Spiel der Wissenschaft verlassen hat. Bei dem Versuch, Grundaussagen der SE zur Tatsache zu erheben, handelt es sich um eine materialistisch motivierte Grenzüberschreitung, die als solche gekennzeichnet werden sollte."
(Fortsetzung folgt.)