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NEUERE EVOLUTIONISTISCHE ABHANDLUNGEN

 

L. v. SALVINI-PLAWEN UND ERNST MAYR: ON THE EVOLUTION OF PHOTORECEPTORS AND EYES (1977)

Wo immer heute die Frage nach der Entstehung des Auges zur Debatte steht - regelmäßig wird diese Arbeit als Antwort auf alle wichtigen Probleme zitiert (vgl. Bakken 1988, zitiert p. 81), und auch wir haben in der vorliegenden Schrift schon ein paarmal auf den Beitrag der Autoren Bezug genommen.

Vorweg sei gesagt, dass Salvini-Plawen und Mayr eine recht informationsreiche Zusammenstellung der Photorezeptoren und Augen der verschiedensten Tierklassen vorgelegt haben. Wer ein echtes Interesse an diesen Fragen hat, kann diese Arbeit trotz der evolutionistischen Ableitungen der Autoren mit Gewinn studieren.

Die Verfasser weisen auf mehrere Forscher hin, die schon eine große Anzahl von Tatsachen zusammengetragen haben. "Nevertheless, no one up to now has attempted to present a comprehensive treatment of the evolution of eyes." Und: "A truly comprehensive treatment from a phylogenetic point of view is, however, still wanting. It is here being attempted" (pp. 209 und 232).

Die phylogenetische Behandlung der Frage sieht nun so aus, wie bereits mit Rensch 1970 (vgl. pp. 23/24), Darwin 1859/1872 (vgl. pp. 43 - 63), J. Maynard Smith 1987 (vgl. pp. 79/80) und Bakken 1988 (vgl. p. 81) dokumentiert: Mit der Serie unterschiedlicher Differenzierungsstufen werden die entwicklungstheoretischen Transformationen auf völlig naive und unwissenschaftliche Weise impliziert und als realhistorische Prozesse suggeriert - ohne auch nur die Fragen nach der Wahrscheinlichkeit und Reproduzierbarkeit der durch Mutation und Selektion postulierten Ereignisse zu erwähnen. Das Synorganisationsproblem wird nicht genannt, in anthropomorpher Weise wird von "evolutive improvement" (p. 247), "eye perfection", "gradually improved types of eyes", "grades in eye perfection", "the principle of gradual perfectioning from very simple beginnings", "regular series of ever more perfect eyes" (pp. 248 - 255) gesprochen. Es wird - wie üblich linear-anthropomorph simplifiziert: Die Serien isolierter Organe beweisen ihre Evolution, und es wird eine schon fast "inbrünstig" zu nennende Lobeshymne auf Charles Darwin angestimmt, dessen evolutionistische Prognosen bei den Wirbellosen schon fast "unheimlich" anmuten (p. 252).

Als Ergebnis ihrer Arbeit stellen sie 118 Jahre nach Erscheinen der Origin vorweg fest (p. 209):

The modern evidence showing that Darwin was right is overwhelming.

Wir sind in der vorliegenden Arbeit aufgrund der mathematischen Unwahrscheinlichkeiten auf anatomischer und molekulargenetischer Ebene sowie der prinzipiellen Nichtreproduzierbarkeit der behaupteten Evolutionsprozesse begründet zum entgegengesetzten Schluss gekommen:

The modern evidence showing that Darwin was wrong is overwhelming .

Wir möchten jedoch aufgrund neuer Tatsachen und Entdeckungen immer zu Korrekturen bereit sein, denn das ist eine Maxime jeder wissenschaftlichen Forschung. Was sind die modernen Beweise für Salvini-Plawens und Mayrs so starke und bedeutsame Behauptung? Weiter im Text:

First of all, it is now quite obvious that the evolution of an organ of vision is not as vastly improbable as was thought in Darwin's day.

Das ist eine klare Aussage, deren Richtigkeit wir wissenschaftlich prüfen möchten. Begründung der Autoren:

As we shall show, photoreceptors of various degrees of differentiation have been evolved independently in at least 40, if not 65 or even more separate phyletic lines.

Im Hauptteil der Arbeit werden dann die Strukturdetails der Rezeptoren aufgeführt sowie die Tiergruppen, in denen die verschiedenen Rezeptoren auftreten. In der Zusammenfassung mit Schlussfolgerungen heißt es in ähnlicher Weise (pp. 246/247):

Adopting the most rigorous criteria of homology, at least 40 different lines of photoreceptor differentiation must be postulated originating from unmodified cells with not-yet-determined special structure (Table I).

These do not include photoreceptors the homology of which is uncertain, or the ultrastructure of which needs to be investigated. Accordingly, and considering the ease with which eyes are apparently acquired during evolution, and considering furthermore that there is only a limited number of different eye types, it is possible, if not probable, that in at least some 20 additional cases similar eyes were acquired in certain phyletic lines independently by convergence. If true, this would mean that eyes evolved in evolution independently over 60 times (Table I, also Fig. 9). This number does not include those potential photoreceptors that have not yet been recognized owing to an absence of visible pigmentation (Hermans and Clony 1966; Larimer, 1966; Eakin, 1968).

"...considering the ease with which eyes are apparently acquired during evolution..." - Woher wissen nun die Autoren, dass die Evolution eines Sehorgans ganz offensichtlich nicht so hochgradig unwahrscheinlich ist, wie man noch zu Darwins Zeiten dachte? "Beweis": wenigstens 40-, wenn nicht 65-mal oder noch öfter haben sich Photorezeptoren unabhängig voneinander in verschiedenen Tiergruppen "entwickelt". Woher weiß man aber, dass sie sich tatsächlich durch die bekannten Faktoren der (Zufalls-)Mutation und Selektion aus undifferenzierten Zellen ohne Geist, Plan und Ziel "entwickelt" haben? Man kann die Arbeit so oft und so gründlich durchkämmen wie nur möglich - man findet kein Wort darüber.

Es ist die Weltanschauung von Salvini-Plawen und Mayr (vgl. Ruse oben), die die Aussagen der Synthetischen Evolutionstheorie kurzerhand als naturwissenschaftliche Tatsachen voraussetzt, womit die Gedankenführung etwa folgendermaßen verläuft: Die Evolution ist eine Tatsache und ihre Ursachen sind durch Mutation, Rekombination und Selektion vollständig geklärt. Alle Strukturen aller Organismen haben sich auf diese Weise gebildet. Wenn nun Photorezeptoren nicht nur einmal, sondern gleich über 60-mal unabhängig voneinander entstehen konnten, dann kann auch die Evolution eines Sehorgans ganz offensichtlich nicht so hochgradig unwahrscheinlich sein, wie man in Darwins Tagen noch dachte!

Hut ab vor so viel Naivität!

Aus naturwissenschaftlicher Sicht stellt sich hingegen die Situation wie folgt dar: Über die Wahrscheinlichkeitsstruktur der Entstehung von Photorezeptoren aus undifferenzierten Vorläufern durch Mutation, Rekombination und Selektion wissen wir bisher nur, dass die postulierte Entwicklung nicht reproduzierbar ist. Je tiefer wir in die Materie eindringen, um so komplexer stellen sich die Strukturen und Prozesse dar, d.h. um so unwahrscheinlicher wird auch das Postulat, das allein durch richtungslose Mutationen und Selektion die Entstehung solcher Strukturen zu bewerkstelligen ist. Sind solche Rezeptoren darüber hinaus nun noch 60-mal und öfter unabhängig voneinander entstanden, dann addieren sich die Unwahrscheinlichkeiten für eine Zufallsevolution entsprechend ins Unermessliche. Denn: ist die Neubildung von Photorezeptoren als einmaliger Vorgang durch die bekannten Evolutionsfaktoren schon so hochgradig unwahrscheinlich, dass sie nicht reproduziert werden kann, dann darf man wohl eine 60-malige unabhängige Zufallswiederholung getrost ins Reich der Mythen plazieren.

An der Erfahrung orientiert, wird die Aussage hingegen immer wahrscheinlicher, dass die Bildung von Photorezeptoren geplant und gezielt abgelaufen ist. Sollte dazu eines Tages im Zuge der Gentechnologie der genauestens durchdachte, geplant-gezielte Aufbau eines solchen Photorezeptors gelingen, dann hätte der Mensch wohl mit großem Aufwand seines Geistes und seiner technischen Fähigkeiten ein winziges Stück der genialen Urschöpfung reproduziert und dabei vermutlich Kenntnisse über Zusammenhänge erlangt, die ihn um so mehr bewegen sollten, sich vor der ungeheuren Intelligenz und überragenden Weisheit und Macht des intelligenten Konstrukteurs aller Lebensformen demütig zu verneigen.

Zurück zu Salvini-Plawen und Mayr, die p. 209 weiter schreiben:

Secondly, there exists in living animals an almost complete gradation from exceedingly simple light-sensitive receptors to highly complex eyes.

Zu dieser Aussage erheben sich mehrere Fragen: Wie vereinbart sich eine solche Serie mit der Selektionstheorie, wenn doch nach Darwin und anderen (a) die jeweils nächst höhere Stufe der Augendifferenzierung einen so entscheidenden Selektionsvorteil darstellt, dass sie alle weniger differenzierten Ausgangsformen zum Tode verurteilt und sie selbst einer glorreichen Weiterentwicklung entgegensieht? (Vgl. Darwin, zitiert p. 58, Absatz X und p. 59). Und wie vereinbart sich das weiter mit der Behauptung, dass (b) die Entstehung auch von komplexen Sehorganen durch Mutation und Selektion keineswegs unwahrscheinlich, sondern vielmehr so hochgradig einfach und wahrscheinlich ist, dass sich solche Prozesse sogar 15-mal und öfter unabhängig voneinander bis zu einer deutlichen Linsenbildung abgespielt haben sollen (Salvini-Plawen und Mayr, p. 255)? Unter der Voraussetzung der anthropomorphen Selektionstheorie müssten wir außerdem schlussfolgern, dass sich (c) auch die anderen noch niederen Differenzierungsstufen der Lichtsinnesorgane in Zukunft weiter vervollkommnen werden ("the principle of gradual perfectioning from very simple beginnings" - Salvini-Plawen und Mayr, p. 252). Denn: wenn alles im Fluss ist, sich weiterentwickelt, ununterbrochen verbessert, verfeinert und vervollkommnet wird, wenn also durch die Selektion fortwährend höhere Differenzierungsstufen notwendig werden, dann können ja die zur Zeit bestehenden einfacher gebauten Sehorgane (unabhängig von der Frage, warum es sie heute überhaupt noch gibt) schlecht auf ihrem selektionstheoretisch schwachen und unvollkommenen Niveau verharren. Mit der Zeit müssten dann die meisten Organismen mit hochkomplexen Sehwerkzeugen ausgerüstet werden, ja Millionen von morphologischen Arten müssten uns nach "dem Prinzip der schrittweisen Vervollkommnung von sehr einfachen Anfängen" etc. eines Tages gleichsam mit Menschen- und Adleraugen ansehen können.

Da nun Lichtrezeptoren bereits 40- bis 65-mal oder noch öfter unabhängig entstehen konnten, darf man natürlich für die Zukunft viele weitere solche Fälle erwarten, insbesondere bei denjenigen Taxa, die bisher völlig ohne Augendifferenzierung ausgekommen sind: "Anthozoa (Cnidaria), Cestoda (Platyhelminthes), Gnathostomulida and Acanthocephala (Nemathelminthes), lower Mollusca (Caudofoveata, Solenogastres, Tryblidiida, Scaphopoda), Priapulida, Myzostomida, Phoronidea (Lophophorata), Pterobranchia (Branchiotremata), three of the five Echinodermata groups (Crinoidea, Echinoidea, Ophiuroidea), and Larvacea (= Copelata; Tunicata)" (Salvini-Plawens und Mayrs Aufführung der Tiergruppen ohne Lichtsinnesorgane p. 232 - wobei von den meisten parasitischen, höhlenbewohnenden und kavernicolen Gruppen, die zur Augenrückbildung neigen, abgesehen wird. Bei den letzteren Gruppen könnte man jedoch die Frage stellen, ob statt einer Rückbildung der Augen nicht in vielen Fällen die Neuentwicklung von Leuchtorganen unter weiterer Vervollkommnung der Augen eine effektivere Alternative gewesen wäre.)

Man könnte natürlich wieder fragen, warum all diese Lebensformen ohne Lichtsinnesorgane bei der hochgradigen Wahrscheinlichkeit und Einfachheit der Neubildung und Vervollkommnung von Lichtrezeptoren, nicht ihre ganze Augenentwicklung schon längst hinter sich gebracht haben!

Im Zuge des Vervollkommnungsprinzips haben dann vielleicht auch die Pflanzen eines Tages noch die Chance, Augen und ein dazugehöriges Verarbeitungssystem zu entwickeln. Bisher können die meisten Pflanzen nur die Lichtrichtung wahrnehmen, aber hier schon sehr sensibel reagieren. Die ins Pflanzenreich gehörenden Phytoflagellaten jedoch (einschließlich der Spermatozoiden der Braunalgen (Phaeophyceae) mit ihrem Augenfleck (Stigma)), sowie die Dinoflagellaten, die sogar schon hoch differenzierte Sehorganelle mit Linsenkörper, Retinoid und Pigmentbecher besitzen und die peruanische Fittonia mit ihren Ocellen zur Lichtbündelung geben zur Hoffnung Anlass, dass auch die übrigen Pflanzen nicht auf ihren primitiven und unvollkommenen Stadien stehenbleiben, sondern durch Mutation und Selektion im Zuge der Vervollkommnung dazu getrieben werden, bessere Lichtrezeptoren hervorzubringen und zu hochdifferenzierten Augen zu vervollkommnen. (Details zu den eben zitierten Pflanzengruppen vgl. Vetter 1983.)

Ein Blick auf Uexkülls Bemerkungen von p. 33 (unten) dürfte uns jedoch schnell wieder auf den Boden der Realitäten zurückführen. Seine im schwersten Gegensatz zur neodarwinistischen Theorie stehende Umweltlehre ist ein wesentlicher Beitrag zum wahren Verständnis der biologischen Ordnung auf unserer Erde.

Wäre auch nur ein Teil der neodarwinistischen Voraussetzungen und der daraus abzuleitenden Prognosen richtig - wie die behauptete hohe Wahrscheinlichkeit der wiederholten unabhängigen Entstehung von Lichtrezeptoren und Augen durch Mutation und Selektion und deren ununterbrochene Verbesserung, Verfeinerung und Vervollkommnung durch die Selektion - dann wäre nicht nur die Reproduzierbarkeit der postulierten Evolution ein Kinderspiel, sondern diese Prozesse müssten sich auch heutzutage bei allen möglichen Lebensformen immer wieder von neuem als Naturgesetzmäßigkeit ereignen.

Will man nicht annehmen, dass all die verschiedenen unterschiedlich hochdifferenzierten Augenbildungen im Tierreich sämtlich erst Produkte aus jüngerer Zeit sind - eine solche Annahme stünde im Widerspruch zur Paläontologie - dann müssten zumindest auch all die älteren Zweige der Lebensformen bereits die am höchsten differenzierten und vollkommensten Sehwerkzeuge besitzen.

Die Realitäten zeigen, dass die neodarwinistischen Voraussetzungen und Prognosen falsch sind.


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