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Carl Friedrich von Gärtner (1849): Versuche und Beobachtungen über die Bastarderzeugung im Pflanzenreich, pp.148 und 154ff. Stuttgart. Gedruckt bei K.F.Hering & Comp.

Bei der Untersuchung der Ursache der verschiedenen Fähigkeiten der Arten der Pflanzen zur Bastarderzeugung haben wir vorzüglich zwei Fragen ins Auge zu fassen: nämlich 1) wodurch unterscheidet sich die Art (Species) von der Varietät? und 2) sind die Arten unveränderlich oder wandelbar? Beide Fragen stehen in dem unmittelbarsten Zusammenhang mit einander, und sind sowohl für die physiologische, als wie für die systematische Botanik von höchster Wichtigkeit.

Bekanntlich herrscht über beide Fragen noch Streit, in welchen wir uns aber hier nicht umständlich einlassen können; wir wollen nur die hauptsächlichsten Meinungen einiger Schriftsteller hierüber kürzlich anführen, und die Sache von der Seite untersuchen, insoferne sie unseren Gegenstand speciell berührt, und dann die Thatsachen, wie sie sich bei unseren Versuchen ergeben haben, und welche hierüber einigen Aufschluss geben können, sprechen lassen.

(p. 154) Von grösserer Wichtigkeit für unsere Untersuchung über das Wesen der Pflanzenspecies ist die apriorische Ansicht einiger naturphilosophischen Botaniker, welche eine stete Fortbildung der Formen der Thiere und Pflanzen als Axiom annehmen, und von der Perfectibilität des Menschen auf die Veränderung der Thiere und Pflanzen schliessen. FR. WIMMER ist dieser Behauptung schon vom philosophischen Standpunkte aus entgegen getreten. Es ist aber hier nicht der Ort und auch nicht unsere Absicht, in den alten Streit über das Wesen der Pflanzenspecies ins Einzelne einzugehen, und alle die verschiedene Meinungen hierüber auszuführen, und darüber entscheiden zu wollen; sondern zu untersuchen: wie sich die   r e i n e   Art in Beziehung auf die Eigenschaften zu den Bastarden verhält, um durch Vergleichung die Natur und die Gesetze der Bastardzeugung im Pflanzenreich genauer kennen zu lernen. Es handelt sich hiebei insbesondere davon, zu erfahren: ob die reine Pflanzenart stabil oder veränderlich ist: und wenn dieses ist, wie weit, und durch welche Einflüsse die verschiedenen Veränderungen der Species bewirkt werden möchten.

G. R. TREVIRANUS sagt: "dass auch der Organismus der lebenden Natur ebensowohl wie alles Uebrige, was im Raum und in der Zeit existirt, unaufhörlichen Veränderungen unterworfen seie: dass daher auch die Organisation der Thier- und Pflanzenkörper sich verändere, und ganze Arten untergehen und neue an ihrer Stelle entstehen."

F. J. SCHELVER bestreitet die Beständigkeit der Pflanzenspecies; indem er zwar zugibt, "dass die der Pflanze eingeprägte Constellation nicht so leicht vertilgbar seie, dass aber Niemand sagen könne, dass grössere Zeiträume keine Gewalt haben, und dass Jahrhunderte bei   i n n e r e m   E r d w a n d e l   oder äußerer Verpflanzung nicht durch allmähligen inneren Einfluss den fremden Charakter tilgen und einen neuen erziehen könne." Ferner sagt er: "Das Bildungsgesetz, das besondere Verhältniss von (p.155:) Erde und Sonne ist allein ewig: das Gebildete (die Pflanzenspecies) ist aber wandelbar und vergänglich."

Hofrath T.L.REICHENBACH sagt: "die Gattungen und Arten sind wie alle Stufen der Natur nichts Abzuschliessendes, sondern etwas fortdauernd und in sich selbst sich Entwickelndes, in ihrer objectiven Erscheinung sowohl, als auch in der subjectiven Beschauung, der Zeit gehörig, in der sie bestehen. Das alte Stabilitätsprincip der Arten würde unsere Beobachtungsfähigkeit für diesen Generationsverlauf, unsere gleichzeitige Existenz mit den   u r s p r ü n g l i c h e n   S t a m m e l t e r n, sowie mit den, bis  a u f  d i e  n e u e s t e Z e i t   abgestammten Individuen bedingen: da aber diese Bedingung unerfüllbar ist, so löse sich auch jenes Urtheil in Nichts auf."

AUG.DE ST.HILAIRE und M.A. PUVIS haben sich ebenfalls für diese Ansicht erklärt: keiner dieser Schriftsteller hat aber das wirkliche Aussterben oder absolute Verschwinden einer   r e i n e n   P f l a n z e n a r t   nachgewiesen, noch gezeigt, auf welche Weise eine solche Lücke in der Reihe der Schöpfung entstanden, und noch weniger, wie sie wieder ausgefüllt worden ist. Das Beispiel des Verschwindens des Mammuth beweist zwar alllerdings nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Wirklichkeit des Aussterbens einer Thierart aus der wirklichen Schöpfung; daher wird wohl anzunehmen sein, dass es auch bei Pflanzen, welche eine sehr beschränkte Verbreitung haben, durch epidemische und andere Einflüsse gesschehen könnte. Wie aber eine solche entstandene Lücke in der Reihe der lebendigen Geschöpfe wieder ausgefüllt werde, und ob diese Ausfüllung im Zweck der Natur liege und gesetzmäßig erfolgen müsse: darüber gibt uns die Geschichte der organischen Geschöpfe keinen Aufschluss.

J.J.D'OMALIUS D'HALLOT und ISIDORE GEOFFROY DE ST. HILAIRE huldigen der Hypothese der Veränderlichkeit als derjenigen, welche sich mit dem von der Natur befolgten Gange am besten vertrage. Der Erstere sagt jedoch, "dass die alten Zeiten der Fortpflanzung der Geschöpfe weit günstiger gewesen seien, als unsere Epoche; indem die Temperatur, die Beschaffenheit (p.156:) der Atmosphäre und die Produkte sehr verschieden von einander seien, und viele Veränderungen erlitten haben: so dass von den alten Species zu den neuen keine Übergänge zu finden seien. Er gibt jedoch zu, dass seit den historischen Zeiten, oder seit der letzten geologischen Hauptumwälzung eine solche Stabilität in der Natur stattgefunden habe, dass die Species ihre unterscheidenden Kennzeichen constant beigehalten haben. Wenn man aber auch zugebe, dass in der jetzigen organischen Natur eine Beständigkeit obwalte, welche keine so bedeutenden Veränderungen aufweise, wie diejenigen, welche in den auf einander folgenden Epochen zu bemerken seien: so folge daraus noch nicht, dass diese Beständigkeit vollständig seie."

ISIDORE GEOFFROY DE ST. HILAIRE bemerkt in dieser Beziehung, dass, welcher von beiden Ansichten, der Stabilität oder der Veränderlichkeit der Species, man auch huldigen möge, es sich vor allem um die Feststellung, sowie um die sichere Ermittlung der, jeder Localität eigenthümlich angehörenden Typen handle (s. oben S. 150). Ob nun diese Typen ebenso viele wirkliche   S p e c i e s,  die sich von dem Anfange der jetzigen Schöpfung an bis auf unsere Zeit unverändert fortgepflanzt haben, oder blose   V a r i e t ä t e n  seien, deren Formen durch die, sie fortwährend umgebenden, äusseren Potenzen bedingt worden sind, seie eine besondere Frage; es liege aber auf der Hand, dass genaue Bestimmung der, jedem Lande eigenthümlichen Formen bei deren Beurtheilung einer der Hauptfactoren sein müsse. In dieser Beziehung haben demnach die Vertheidiger der Theorie der Veränderlichkeit der organischen Geschöpfe dasselbe Bedürfnis, wie die Anhänger der Stabilität der Typen: nur werden manche Species, welche diese als streng und unwiderruflich festgestellt betrachten, von jenen nur als provisorisch aufgestellt angesehen: so dass die Entstcheidung über deren wirkliche Bedeutung der Zukunft vorbehalten bleiben muss.

Diejenigen Naturforscher nun, welche eine solche Fortbildung und Umwandlung der Thier- und Gewächsarten annehmen, verlangen zwar hiezu einen viel grösseren Zeitraum, als ein Menschenalter: ja! tausende von Jahren: wo freilich alle (p.157:) menschliche Beobachtung aufhört, und es unmöglich ist, den unmerklichen Veränderungen der ursprünglichen Formen zu folgen, und in ihren Phasen festzuhalten. Wir könnten uns eine solche Fort- und Umbildung der Gewächsarten, wie sie von einigen Naturforschern behauptet wird, nur unter solchen allgemeinen Catstrophen des Erdkörpers als möglich denken: wie sie uns die verschiedenen Schöpfungsepochen der Vorwelt aufweisen: wo keine wirkliche Uebergänge stattgefunden haben: sondern das allgemeine Bildungsprinzip aller Organismen eine veränderte Richtung erhalten hat, welche zwar Fortschritte beurkunden, die aber mehr als neue Schöpfungen zu betrachten sein möchten, als dass sie unmittelbare Fortbildungen früher vorhandener Typen genannt werden könnten; indem selbst J.J.D'OMALIUS D'HALLOT zugesteht, dass von den alten Species der früheren Epochen keine Uebergänge zu den neueren Arten gefunden werden. (S. oben S. 156.)

Glücklicherweise hat uns nun die Geschichte und die Geologie Documente von sehr hohem Alter, zwar nicht von vielen, aber doch von einigen Pflanzenformen überliefert, welche sich nicht nur in mehreren Jahrhunderten, sondern sogar in einigen Jahrtausenden nicht bemerkbar verändert haben. Doch möchten auch diese Zeiträume in Vergleichung mit der letzten Schöpfung des Gewächsreichs den Vertheidigern der Fortbildungshypothese noch zu gering erscheinen.

Von besonderer Bedeutung scheinen uns in dieser Beziehung diejenigen Beispiele in der geschichtlichen Botanik zu seine: wo Samen von hohem Alter durch Keimumg Pflanzen hervorgebracht haben, welche vollkommen mit denen übereinstimmen, welche die freie Natur in unseren Tagen immer noch hervorbringt: wie die glaubwürdigsten Zeugen versichern. ...

(P. 158) Als einen besonderen geologischen Beweis für die Stabilität der Arten und für die Unwahrscheinlichkeit der behaupteten Fortbildung der Arten selbst in Tausenden von Jahren halten wir noch Reste und Abrücke von Pflanzen, sowie Reste von Conchylien, welche in Gesellschaft unter und zwischen einander in dem Stuttgarter und Cannstatter Kalktuff gefunden und noch lebend in der Gegend angetroffen werden, von welchen H. FR. A. WALCHNER ein langes Verzeichnis liefert, wovon wir als anerkannt identisch nur folgende ausheben: Arundo Phragmites, Equisetum, Scolopendrium officinale mit Fructification, Blätter von folgenden Bäumen, Salix fragilis und aurita, Populus tremula, Carpinus Betulus, Corylus Avellana, Quercus pedunculata, Ulmus campestris, Acer campestre, Rhamnus catharticus, Cornus sanguinea. Diese Thäler von Stuttgart und Cannstatt sind zwar erst nach der tertiären Periode der Diluvialzeit und zwar vor der Ablagerung des Lössmergels gebildet worden, welche aber doch wohl noch in eine weit frühere Zeit hinauf reichen möchten, als die Erbauung der ägyptischen Pyramiden.

Diese Beispiele, wenn sie gleich nicht sehr zahlreich sind, scheinen uns unzweideutig für die Stabilität der Pflanzenspecies, wenigstens für deren unendlich langsame Veränderung und Fortbildung zu sprechen. Oder sollte nur diese oder jene Art (p. 159:) oder Form der Fortbildung unterworfen, und kein allgemeines Gestz der Veränderung für alle Thier- und Pflanzenarten stattfinden? Consequenterweise spricht aber jene Fortbildungdhypothese eine allen mit organisch-lebendiger Bildung versehenen Geschöpfen nothwendige Veränderungen aus, und nicht blos der einen oder der anderen Species von Thieren und Pflanzen. Unsere angeführten Beispiele zeigen zum wenigsten, dass die Fortbildung der Arten noch gar nicht erwiesen ist, und dass diese Wandelbarkeit, wenn sie auch stattfinden sollte, so unendlich gering ist und langsam erfolgt, dass sie bei unserer gegenwärtigen Untersuchung kaum in Betracht kommen kann: dass wir demnach keinen grossen Fehler zu begehen glauben: wenn wir uns an den jetzigen Tathbestand halten, und in der Annahme der Stabilität der Pflanzenart einen grösseren effectiven Nutzen für die pflanzenphysiologischen Untersuchungen und für den Fortschritt der Wissenschaft erblicken, als in der Annahme jener Hypothese. Sollte endlich nicht auch noch ein besonderer Beweis gegen die Wandelbarkeit der Pflanzenspecies, wie sie oben behauptet worden ist, in der unbestreitbaren Thatsache zu suchen sein, dass die Varietät unter gegebenen Umständen von selbst wieder zur Urform zurückkehrt, was zwar J.J.D'OMALIUS D'HALLOT noch in Zweifel ziehen will: was jedoch, wie weiter unter erhellen wird, ein Naturgesetz zu sein scheint? Ueberdies scheint uns in der Annahme der Fortbildung der Arten und der Entstehung der Mannigfaltigkeit der specifischen Gewächsformen aus wenigen ursprünglichen Grundformen durch Bastarderzeugung auf der einen, und der Behauptung des Stabilwerdens der fruchtbaren Bastarde auf der anderen Seite ein offenbarer Widerspruch zu liegen.

Aus allen diesen Gründen nehmen wir nun keinen Anstand, uns dem Tadel eines bekannten Naturforschers auszusetzen, welcher erklärt hat: "dass sich derjenige noch wenig in der Natur umgesehen habe, welcher um festbegrenzte Arten und überhaupt um unveränderliche Naturgesetze streite": und trösten uns, G. CUVIER, W.D.J. KOCH, AGASSIZ und FLOURESS zu Mitstreitern zu haben.

(P. 160:) Wenn wir überhaupt stabile Arten der Pflanzen, oder nur in unendlicher Zeit veränderliche Formen bei den vollkommeneren Gewächsen annehmen: so bestreiten wir die Thatsache damit nicht, dass es einzelne Formen oder Arten unter denselben gibt, auf welche durch tellurische und atmosphärische Agentien, wie Clima, Boden, Temperatur und Cultur ein grösserer Einfluss ausgeübt wird, als auf manche andere, und dass durch solche Agentien in ihnen die Wirkungen von Naturgesetzen hervorgerufen werden können, welche unter den angestammten Verhältnissen sich nicht geltend machen konnten; was jedoch nur einzelne Ausnahmen begründet, aber nicht zur allgemeinen Regel wird; indem solche auch langsam erfolgende Veränderungen gemeiniglich den Untergang, und nicht die Aneignung und Fortbildung der organischen Geschöpfe und der einzelnen Individuen zur Folge haben. Unter solche veränderliche Pflanzenformen mögen unter anderem Aconitum, Dephinium, Rubus, Rosa, Mentha, Senecio, mehrere Cichoraceen, wie Taraxacum, selbst Bäume, wie Platanus u.s.w., und selbst unter diesen Gattungen nur einzelne Arten zu rechnen sein, welche eine grössere Geneigtheit zur Variation zeigen, bei welchen sich aber der Urtypus wohl niemals verändert: sondern die Varietät unter den ursprünglichen naturgemässen Verhältnissen nach und nach wieder zur Urform zurückkehrt. (S. unten  A u s a r t e n.)

Aus der Geneigtheit einiger Pflanzen, durch äussere Einflüsse, Cultur u.s.w. die Formen zu verändern oder zu modifizieren, darf man also den Schluss noch nicht auf das ganze Gewächsreich machen. Aber auch diese Veränderungen sind nach ihren physiologischen Momenten noch nicht genau untersucht worden; obgleich der veränderlichen Formen im Verhältniss zu den stabilen es nur sehr wenige zu sein scheinen. Die Begründung solcher Einflüsse zur Veränderung der Pflanzenformen oder zur Entstehung von Varietäten erfordert aber eine lange Reihe der intricatesten und scrupulosesten Naturbeobachtungen, um zuvörderst nur einige sichere Anhaltspunkte für fruchtbare Hypothesen zu erhalten: da in diesem Felde der Untersuchung der Täuschungen sehr viele sind, welche den für (p. 161:) einen so schwierigen Gegenstand eingenommenen Forscher befangen machen und irreleiten können.

Einige Naturforscher, welche die Stabilität der Arten bestreiten, wie ISIDORE GEOFFROY DE ST. HILAIRE, C. FRAAS, Prof. HORNSCHUCH und Andere, schreiben dem C l i m a einen ausserordentlichen Einfluss nicht nur auf die Farben der Arten, sondern auch auf ihre Form zu; EDW. BLYTH (s. oben S. 149), ein genauer Beobachter der Natur, gesteht aber dem Clima und der Lokalität keine so grosse Wirkung auf die specifische Bildung der Unterschiede, namentlich bei den Thieren, zu. Ein solcher Einfluss scheint auch nur bei einigen Thieren und Pflanzen statt zu finden.

Der Wechsel des planzlichen Organismus, seine Veränderungen und Verwandlungen erfolgen gewiss nach bestimmten Gestzen, und der Lauf der Veränderungen der Pflanzenspecies wird bei den vollkommeneren Gewächsen durch den ewigen Wechsel des Absterbens und die Wiederentstehung durch die geschlechtliche Zeugung, durch die Entwicklung aus dem Keim, das Wachsthum und die Metamorphose der Theile vollbracht und erschöpft, und die Art (Species) durch diesen ewigen Kreislauf erneuert und in ihrem Wesen erhalten, ohne dass ihre Natur und ihr Grundtypus eine wesentliche Veränderung erlitte. Wie die Bastardpflanze in ihren weiteren Generationen entweder zum Typus der Mutter zurückkehrt, oder sich in den väterlichen umwandelt: ebenso wird auch der reinen Art von Natur die Nothwendigkeit eingeprägt sein, ihren Typus zu erhalten.

Wenn endlich die Bastarderzeugung sowohl für die Fortbildung, als auch für die Quelle der Mannigfaltigkeit der speciellen Formen und Mittelformen artenreicher Gattungen (s.oben S. 153) in Anspruch genommen, und sogar als Naturzweck aufgestellt wird: so fehlt es doch noch an genauen Untersuchungen hierüber, und noch mehr an einem Beweis hiefür gänzlich: ob dieses nur möglich ist, oder ob nicht vielmehr solche Mittelformen schon längst vorhanden, und nur von früheren Botanikern übersehen, oder nicht genau beschrieben worden waren; zudem bei der damaligen viel geringeren Anzahl bekannter Ge- (p. 162:) wächse die Charaktere der Arten weniger scharf gezeichnet, nun auf mehrere Arten anwendbar geworden sind. Wir erinnern nur daran, wie schwierig es sist, die viele verwandte Arten von Aster, Senecio, Rubus, Myosotis u.s.w., welche zu einer Hauptabtheilung gehören, fürs System scharf und genau zu charakterisieren. Wie sollten ferner noch auf diesem Wege mehrere artenreiche Gattungen der   A s c l e p i a d e e n,  A p o c y n e e n  und   O r c h i d e e n  gebildet worden sein, bei welchen eine hybride Befruchtung fast unmöglich zu sein scheint (s: oben S. 117).

Es ist zwar Thatsache, dass zuweilen Bastardbefruchtungen im Freien geschehen (s. unten  v o n   d e r  B a s t a r d z e u g u n g   i m   F r e i e n): ihre Gesetzmässigkeit als Naturzweck kann aber ebensowenig als bei den Thieren nachgewiesen werden; sondern sie tragen sich, durch besonderen Umstände und den besonderen Bau einiger Gewächse begünstigt, nur zufällig in der freien Natur zu; indem sie den Gang der Natur nicht stören oder verwirren können; weil sie, wie wir im Folgenden sehen werden, bald früher, bald später wiederum aussterben, selbst wenn sie anfänglich Zeugungskraft besessen hatten.

Von den vorgeblichen Verwandlungen vollkommener Gewächsarten in andere, den sogenannten   A u s a r t u n g e n, besonders der Gräser, welche auf höchst oberflächlichen Beobachtungen beruhen, wird weiter unten in einem besonderen Capitel (s.vom  A u s a r t e n   d e r  P f l a n z e n) gehandelt werden: das sie keinen Beweis gegen die Stabilität der Pflanzenart abgeben können.

Nach dieser nothwendigen Abschweifung kehren wir zu der Untersuchung der Fähigkeit der Pflanzenarten zur Bastarderzeugung zurück, wobei es zur Ermittlung der Gesetze der Wahlverwandtschaft von Wichtigkeit ist, zu wissen: ob das Gewächsreich aus  s t a b i l e  n Arten oder aus Varietäten und aus Gewächsen mit variablen Typen besteht. Im ersten Fall ist anzunehmen, dass die Bastarde eine normale und keine vage Bildung haben werden; im anderen Fall aber, dass sie je nach Verschiedenheit der Individuen, obgleich von derselben Art, dennoch von verschiedenen Graden der inneren Fortbildung, jedesmal abweichende oder verschiedene Typen liefern müssten; weil es nicht wahr= (p. 163:)scheinlich ist, dass eine Art oder Gattung unter verschiedenen Einflüssen und in entfernten Ländern und verschiedenen Situationen in ihrer Fortbildung den vollkommen gleichen Schritt behalteen könnten, und dass diese Arten, welche aus anderen Welttheilen in unser Clima und umgekehrt verpflanzt und angewöhnt werden, nicht denselben Typus beibehalten könnten. Ebendies würde wohl auch nicht möglich sein, wenn die jetzige unendliche Mannigfaltigkeit des Pflanzenreichs durch Bastarderzeugung aus einem einzigen oder Wenigen Urtypen entstanden wäre: der grossen Bedenklichkeit in Beziehung auf Fruchtbarkeit und Fortpflanzung der Bastarde überhaupt nicht zu gedenken, welche der Wahrscheinlichkeit dieser Hypothese im Wege stehen.

Für die Stabilität und eigenthümliche Natur der Pflanzenspecies scheint uns auch noch die Thatsache zu sprechen, dass sich die specifischen Unterschiede nahe verwandter Arten in der Verbindung mit einer nämlichen anderen Art in den verschiedenen Bastarden deutlicher aussprechen, als sie selbst in den reinen Arten hervortreten: z.B. Lobelia cardinalis, fulgens und splendens in ihrer Verbindung mit syphilitica, Lychnis diurna und vespertina mit Cucubalus viscosus, Dianthus chinensis und pulchellus mit superbus u.s.w., geben sehr verschiedene Bastarde. Wenn diese nahe verwandten Arten einst aus Einem gemeinschaftlichen Urtypus hervorgegangen, oder durch Fortbildung eines oder des anderen Individuums von einander entfernt worden wären: so scheint es doch höchst unwahrscheinlich zu sein, dass sie sich bei der gegenseitigen Befruchtung nicht wieder in ihre Urform vereinigen, oder in der Bastardzeugung nicht als analogen Typen erweisen sollten. D a s   W e s e n   d e r   A r t   b e s t e h t   d a h e r   i n    d e m   b e s t i m m t e n n   V e r h ä l t n i s  s   i h r e r   s e x u e l l e n   K r ä f t e   z u   a n d e r e n   A r t e n,   w e l c h e s   V e r h ä l t n i s s    n e b e n   d e r  s p e c i f i s c h e n   F o r m   b e i   j e d e r   A r t   e i n    e i g e n t h ü m l i c h e s,   b e s o n d e r e s   u n d   c o n s t a n t e s   i s t;   F o r m   u n d   W e s e n   s i n d   i n   d i e s e r   B e z i e h u n g   E i n s.


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