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ZUSAMMENFASSUNG

In Übereinstimmung mit de Vries, Bateson, Johannsen u. a. Biologen sowie mehreren Historikern liegt meine Hauptschlußfolgerung für die um 35 bzw. 72 Jahre verzögerte Anerkennung der Befunde Mendels (um es vorsichtig zu formulieren) in der Schwierigkeit der Darwinschen Evolutionstheorie, die Mendelschen Ergebnisse zu integrieren. Oder mit deutlicheren Worten: Die genetischen Ergebnisse selbst waren den Darwinschen Anschauungen zur Evolution und Vererbung diametral entgegengesetzt, und das ist der Hauptgrund, warum sie nicht beachtet wurden! Darwin glaubte sowohl an die Vererbung erworbener Eigenschaften als auch an die kontinuierliche Evolution, - Mendel hingegen lehnte beides ab. Mendels Befunde zu akzeptieren wäre der Aufgabe der Vorstellungen Darwins gleichgekommem. Und die Spannungen gehen weiter bis auf den heutigen Tag (vgl. Lönnig 1986, 1993, pp. 328, 446, 541-544).

Bishops und insbesondere Di Trocchios (1991) Überlegungen allerdings, daß die meisten von Mendel beschriebenen Versuche als "fictitious" zu betrachten sind ("most of the experiments described in Versuche are to be considered fictitious" - Di Trocchio 1991,p. 487) halte ich für unhaltbar (siehe weiter den Kommentar in Englisch oben). Zuviel ist aus Mendels Leben, Forschung und Korrespondenz bekannt, als daß man die Wahrheit der Versuche ernsthaft bestreiten könnte (vgl. die gesammelten Daten bei Orel, Olby, Weiling und vielen anderen Autoren). Die Fälschungsbehauptungen R. A. Fishers (1936) konnten inzwischen mit zahlreichen experimentellen Untersuchungen und mathematischen Beweisführungen systematisch widerlegt werden: Lamprecht (1968, 1974), Monaghan und Corcos (1985), Pilgrim (1984, 1986), Van Valen (1987), Joyce (1987), Weiling (1966, 1985, 1989, 1995); zum manchmal erhobenen Einwand, daß Mendel bei seinen Erbsenversuchen auch auf Genkopplung gestoßen sein müßte, vgl. Blixt (1975) und Douglas und Novitski (1977). Selbst der extrem kritische Edward (1987) schließt gezielte Fälschungen bei Mendels Daten aus.

Hubert Markl bemerkt zur behaupteten Datenfälschung einiger bekannter Wissenschaftler (1998, p. VII): "Selbst wenn Galilei, Newton oder Mendel bei der Begründung von ihnen entdeckter Gesetzmäßigkeiten gemogelt haben sollten, gilt das, was sie als richtig erkannt haben, weil es sich in vielfacher Überprüfung als richtig erwiesen hat."

Das ist zwar prinzipiell richtig. Was Mendel betrifft, so erscheint mir jedoch nach nochmaligem Studium der VERSUCHE ÜBER PFLANZEN-HYBRIDEN (1866) dieser Hinweis unnötig (zu Galilei und Newton möchte ich mich hier einer Stellungnahme enthalten). Ich denke, der Beweis für die Echtheit und Genauigkeit der Mendel-Versuche wird unter anderem in der folgenden Passage zum siebenten von Mendel studierten Merkmal, dem "Längenmass der grösseren Axe", deutlich. Mendel schreibt (1866, pp. 11):

"Was das letzte Merkmal anbelangt, muss bemerkt werden, dass die längere der beiden Stamm-Axen von der Hybride gewöhnlich noch übertroffen wird, was vielleicht nur der grossen Ueppigkeit zuzuschreiben ist, welche in allen Pflanzentheilen auftritt, wenn Axen von sehr verschiedener Länge verbunden sind. So z. B. gaben bei wiederholtem Versuche Axen von 1' [Fuß] und 6' [Fuß] Länge in hybrider Vereinigung ohne Ausnahme Axen, deren Länge zwischen 6 und 7 1/2' [Fuß] schwankte."

Damit beschreibt Mendel eindeutig einen Fall von HETEROSIS, SUPERDOMINANCE oder OVERDOMINANCE (auch als HYBRID VIGOUR bezeichnet) (zur Historie des Begriffs, der Ursachenfrage und zu weiteren Beispielen, vgl. Lönnig 1980: Heterosis bei Pisum sativum L.). Darüber hinaus erwähnt Mendel einen zweiten Heterosis-Fall, wenn er fortfährt (pp. 11/12):

"D i e   H y b r i d e n    d e r    S a m e n s c h a l e    sind öfter mehr punctirt, auch fliessen die Puncte bisweilen in kleinere bläulich-violette Flecke zusammen. Die Punctirung erscheint häufig auch dann, wenn sie selbst dem Stamm-Merkmale fehlt" (von Mendel gesperrt).

Ohne eine theoretische Grundlage (die für viele Heterosisfälle selbst noch in unserem molekularbiologischen Zeitalter ungeklärt ist) und in Abwesenheit jeglicher Experimente, ist es nicht möglich, solche unerwarteten Phänomene der Naturwissenschaft einfach zu 'erfinden'. Man muss vielmehr erst über solche völlig ungewöhnlichen und nicht vorhersehbaren Erscheinungen (gewissermaßen) "stolpern", um sie dann dem erstaunten Publikum mitteilen zu können. War schon die Dominanz aller von Mendel beschriebenen Merkmale unwahrscheinlich genug, so sind die beiden von ihm beschriebenen Fälle der 'Überdominanz' oder Heterosis nach meiner Auffassung ein sicheres Indiz dafür, dass er die von ihm beschriebenen Versuche auch tatsächlich so durchgeführt hat. (Mendels Erklärung der superdominanten Pflanzenlängen - "...was vielleicht nur der grossen Ueppigkeit zuzuschreiben ist, welche in allen Pflanzentheilen auftritt, wenn Axen von sehr verschiedener Länge verbunden sind" - ist kaum mehr als eine Tautology [hier eine etwas umfassendere Neuformulierung des Phänomens, das zu erklären ist: sie beantwortet nicht die Frage nach der Ursache "der grossen Ueppigkeit, welche in allen Pflanzentheilen auftritt", wovon die ungewöhnlichen Pflanzenlängen ein Bestandteil sind]. Mendels Feststellung zeigt deutlich, dass er bei der theoretischen/genetischen Erklärung der von ihm festgestellten und genau beschriebenen Heterosis-Phänomene in Schwierigkeiten war.)

Man könnte vielleicht einwenden, dass das Phänomen Hybrid Vigour auch schon vor Mendel erwähnt worden ist. Aber Heterosis für ganz bestimmte Merkmale und Organe in genau zutreffender Größenordnung an ganz bestimmten Arten und Kulturvarietäten so zu beschreiben - (und zwar in völliger Unkenntnis der genetischen und/oder molekularbiologischen Ursachen der Phänomene) - so dass die Versuche nicht nur unwahrscheinlich (in der Tat: unwahrscheinlich!) erscheinen, sondern sich sogar als reproduzierbar und wahr erweisen - ohne dass man sie überhaupt jemals durchgeführt hätte - das ist so unwahrscheinlich, dass wir diesen Einwand getrost vergessen können.


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