VORBEMERKUNGEN IM JAHRE 2002
Die hier wiedergegebene Diskussion fand in den Jahren 1989-1991 statt. Nach mehr als einem Jahrzehnt Abstand erscheinen mir einige Passagen von beiden Diskussionspartnern im Ton etwas "zu grimmig" (einige Punkte habe ich in meinem selbst publizierten Teil von 1991 verbessert - für die übrigen 'rauen' Stellen bitte ich meine Leser um Nachsicht). Aber wie - so lautet dazu die sachliche Frage - soll man sich verhalten, wenn ein Gesprächspartner beispielsweise wie folgt verfährt (weitere Details siehe die Diskussion unten):
(1) Wenn er einen Vorschlag zur Prüfung des Neodarwinismus als "irreal" ablehnt, und zwar einerseits auf der Basis der Richtigkeit seiner Theorie, die dabei ja gerade zur Debatte stand, aber andererseits unter Auslassung der Möglichkeit des in evolutionstheoretischen Diskussionen häufig vorgetragenen Konvergenzpostulats, welches seine Argumente wieder aufgehoben hätte.
(2) Wenn er einen weiteren (nach meiner Auffassung "sehr gut durchdachten" und sogar von Evolutionsbiologen weltweit von 1927 bis etwa 1980 d. h. ungefähr bis zum Ende der Mutationszüchtung - akzeptierten) Vorschlag, mit den drei unten diskutierten Zeitraffern "selbst wieder [Evolutions]-Geschichte zu machen" mit einer genetisch unzutreffenden Begründung als "unsinnig" und "schlecht überlegt" ablehnt.
(Diese vehemente Verneinung ist übrigens in einem weiteren Zusammenhang, nämlich der Frage nach der Möglichkeit der reproduzierbaren Makroevolution bei Bakterien im Labor, durch unseren Mikrobiologen Prof. K. ganz besonders bemerkenswert!)
(3) Wenn er ein ausführlich zitiertes und von vielen weiteren Paläontologen akzeptiertes Hauptargument von Prof. Kuhn mit den Worten zurückweist, dass das "Aufführen von Autoren...ungenügend" sei, "da Argumente zählen, nicht Autoritäten" (und dabei Kuhns Argument bedauerlicherweise nicht zur Kenntnis nimmt und überdies den Eindruck erweckt, als würde ich mit einem "Autoritätsbeweis" arbeiten) und schließlich:
(4) Wenn er die Argumentation seiner Gesprächspartner mit dem Hinweis auf deren weltanschauliche Vorfixierung* herabzusetzen versucht (womit er letztlich jeden trifft, der eine feste Weltanschauung hat und wohl nicht zuletzt sich selbst nicht aber diejenigen, die dennoch dabei nicht dogmatisch sind und dazu zähle ich mich):
- Dann sollte angesichts solcher Punkte zunächst einmal die Frage erlaubt sein, ob eine solche Vorgehensweise nicht reichlich unerfreulich ist. (Wenn die Kritik sachlich begründet wäre, würde ich sie hingegen akzeptieren.) - Der geneigte Leser wird sicher verstehen, dass es in einer solchen Diskussion schwer fällt, den Diskussionspartner nicht mit dem Maßstab zu messen, mit dem er selber misst. Weist man einem Vertreter der Synthetischen Evolutionstheorie jedoch nach, dass er selbst "unsinnig" argumentiert oder etwas "schlecht überlegt" hat etc., dann kennt die Empörung über die "unsachliche Methodik" des Andersdenkenden manchmal kaum noch Grenzen.
Die große Gefahr besteht jedoch dabei, dass eine solche Diskussion in eine Art persönlicher "Schlammschlacht" mündet womit dann zunehmend das genaue Gegenteil des eigentlichen Ziels, nämlich das der Wahrheitsfindung zur Ursprungsfrage, erreicht wird. Wir dürfen also in solchen Diskussionen niemals die eigentlichen und wesentlichen Sachfragen zum Ursprung der Lebensformen aus dem Auge verlieren: Die Ursachenfragen und die Fragen nach dem genauen Ablauf des Geschehens (z.B. kontinuierlich oder diskontinuierlich).
Was sollte man aber tun, wenn man das Ziel ungerechtfertigter Kritik ist?
Von einigen Ausnahmen zur Analyse einer unsachlichen Methodik einmal abgesehen, komme ich in letzter Zeit zunehmend zu der Erkenntnis, dass es wohl das Beste in einer solchen Situation ist, sich auf eine möglichst genaue Beschreibung der für die Richtigkeit einer bestimmten Sache sprechenden Tatsachen und Argumente zu beschränken, um den Leser allein mit dieser Hilfestellung selbst erkennen und urteilen zu lassen, ob eine Kritik gerechtfertigt ist oder nicht.
An dieser Stelle wird sich der eine oder andere Leser vielleicht auch fragen, wie es überhaupt manchmal zu solch erbitterten Auseinandersetzungen zur Ursprungsfrage kommen kann. Ein wesentlicher Teil der Antwort lautet: Die Evolution hat einen Doppelcharakter: Sie ist zum einen eine naturwissenschaftliche Theorie (und als solche falsifizierbar oder sollte es zumindest sein) und zum anderen ein unentbehrlicher und integraler Bestandteil des philosophischen Materialismus (der in seiner dogmatischen Form grundsätzlich nicht widerlegbar ist). Letzterer kann und darf seinem innersten Wesen nach eine Widerlegung der Evolutionstheorie also niemals zulassen (Stichworte: Entstehung des Lebens, Irreducible Complexity, Makro- und Megaevolution).
Die eindringlichste Beschreibung der emotionalen Reaktionen und Widerstände zur Frage nach der Möglichkeit des intelligenten Designs des Universums und der Entstehung des Lebens habe ich bisher von George Greenstein aus seinem Buch The Symbiotic Universe: Life and Mind in the Cosmos (1988, p. 26) gehört. Bei seinen intensiven Studien hatte sich der Gedanke an einen intelligenten Ursprung des Kosmos und zwar ganz und gar gegen seinen Willen bei ihm immer wieder eingestellt. Und je weiter er sich in die Materie vertiefte, um so stärker wurde dieser für sein naturalistisches Weltbild jedoch so unerfreuliche Gedanke. Die Intensität seiner emotionalen Abwehr beschreibt er unter anderem wie folgt (bold von mir):
But as this conviction grew, something else grew as well. Even now it is difficult to express this something in words. It was an intense revulsion, and at times it was almost physical in nature. I would positively squirm with discomfort. The very thought that the fitness of the cosmos for life might be a mystery requiring solution struck me as ludicrous, absurd. I found it difficult to entertain the notion without grimacing in disgust Nor has this reaction faded over the years: I have had to struggle against it incessantly during the writing of this book. I am sure that the same reaction is at work within every other scientist, and that it is this which accounts for the widespread indifference accorded the idea at present. And more than that: I now believe that what appears as indifference in fact masks an intense antagonism.
Und weiter:
As we survey all the evidence, the thought insistently arises that some supernatural agencyor, rather, Agencymust be involved. Is it possible that suddenly, without intending to, we have stumbled upon scientific proof of the existence of a Supreme Being? Was it God who stepped in and so providentially drafted the cosmos for our benefit?
Seine Antwort schließlich lautet jedoch ganz in Übereinstimmung mit dem naturalistischen Zeitgeist:
God is not an explanation.
Auf diesem ungeheuer emotionalen Hintergrund wird dann auch verständlich, warum manche Materialisten versuchen, eine grundsätzlich sachlich zu führende Diskussion in eine Art "Schlammschlacht" ausarten zu lassen. (Auf den vorliegenden Fall möchte ich diese Aussage jedoch nicht beziehen; siehe unten.) Gelingt ihnen das, dann wird das eigentliche Ziel, die Wahrheitsfindung zur Ursprungsfrage, zunehmend verdeckt, zumal durch das Absinken des Diskussionsniveaus das Interesse des Publikums an diesen Fragen verloren gehen könnte.
Trotz einiger Formfehler von beiden Seiten ist die vorliegende Diskussion jedoch nicht mit einer solchen "Schlammschlacht" vergleichbar (man betrachte dagegen nur einmal die Auseinandersetzungen zwischen Ernst Haeckel und seinen Gegnern). Beide Diskussionspartner haben sich im wesentlichen auf die oben erwähnten Kernfragen konzentriert, wenn auch mit unterschiedlichen Antworten. Wir waren also beide bemüht, möglichst viele Tatsachen und naturwissenschaftliche Argumente für die Richtigkeit unserer divergierenden Positionen aufzuführen (obwohl, wie gesagt, manchmal doch etwas "zu grimmig" im Ton). Viel wichtiger als solche Formfehler ist jedoch die Frage nach dem sachlichen Inhalt einer Auseinandersetzung. Und es ist genau dieser Inhalt, diese Aufführung von Tatsachen und Argumenten zu genetischen und paläontologischen Problemen (und zwar im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Frage, ob der Neodarwinismus überhaupt widerlegbar und damit eine naturwissenschaftliche Theorie ist), von denen ich überzeugt bin, dass der Leser sie mit großem Gewinn studieren und durchreflektieren kann.
Wolf-Ekkehard Lönnig
Köln, den 23. 3. 2002
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*1990, p. 10: "Die Meinungen weltanschaulich vorfixierter Antidarwinisten sind wohl nicht zu ändern." Auf der wissenschaftlichen Ebene sind die Auffassungen von 'Antidarwinisten' veränderbar, wenn naturwissenschaftlichen Kriterien entsprechende Beweise vorgelegt werden. Erfahrungsgemäß sind jedoch oft - aber erfreulicherweise nicht immer - die Meinungen von Darwinisten, und zwar trotz einer überwältigenden naturwissenschaftlichen Beweislage gegen die Synthetische Evolutionstheorie, wenig oder gar nicht zu ändern. Könnte das nicht etwas mit einer invariablen materialistischen Grundhaltung zu tun haben? - Im Zusammenhang mit seiner Diskussion zum Thema Toleranz bemerkte M.J. Behe: "It is one thing to try to persuade someone by polemics; it is entirely different to propose to coerce those who disagree with you. As the weight of scientific evidence shifts dramatical1y, this point should be kept prominently in mind. Richard Dawkins has said that Darwin made it possible to be an "intellectually fulfilled atheist." The failure of Darwin's theory on the molecular scale may cause him to feel less fulfilled, but no one should try to stop him from continuing his search" (Darwin's Black Box, 1996, pp. 250/251; bold von mir).