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WIEDERGABE DER BISHERIGEN DISKUSSION AUS BIOLOGIE HEUTE: A) Genetische Fragen

 

W.-E. L. (1989)

Prof. K. bemerkt in seinem Beitrag zur Darwinismuskritik, dass "an sachlichen Argumenten immer wieder drei vorgebracht" werden und geht dann auf die Themen Mutationen, Ursprung komplexer Strukturen und Prozesse sowie auf die Frage nach Übergangstypen in der Paläontologie ein. Er verdeutlicht seinen Lesern nachdrücklich, dass die neodarwinistische Erklärung in allen Bereichen nach wie vor stichhaltig und völlig zufriedenstellend sei.

Mutationen

Als Mutationsgenetiker an einer der führenden genetischen Institutionen Europas kann ich Prof. K.s Behauptungen, dass die Mutationen schöpferisch seien, die Artgrenzen mit positivem Selektionswert überschreiten würden und letztlich alle komplexen Strukturen der Organismenwelt mit Hilfe der Selektion aufgebaut hätten, nur als unbewiesen bezeichnen. Wäre es anders, dann müssten wir in der Lage sein, durch Vervielfachung der Mutationsraten und gezielte Selektion als Zeitraffern die postulierte Makroevolution in weiten Bereichen zu reproduzieren. Das ist jedoch - trotz größter Anstrengungen auf allen Gebieten der Mutationsforschung, von der Bakteriengenetik über Drosophila bis hin zur Mutationszüchtung - in keinem einzigen Falle gelungen. Wir finden stattdessen das Gesetz der Rekurrenten Variation: Behandelt man reine Linien mit mutagenen Agenzien, so entstehen mit jedem neuen großen Mutationsversuch bevorzugt Mutanten, die bereits existieren. Die Zahl der wirklich neuen, erstmalig festgestellten Mutanten läuft mit steigender Versuchszahl asymptotisch gegen Null.

Zu den von Prof. K. aufgeführten Stichpunkten wie Enzymspezifitäten, Resistenzen gegen Schadfaktoren, Veränderungen von Blatt-, Blütenform und -farbe, Genduplikationen und Polyploidie etc. vgl. Lönnig 1988.

Komplexe Strukturen und Prozesse

Bei der Entstehung komplexer Strukturen und Prozesse, kann ich die eben gemachten Aussagen weiter untermauern: Gäbe es die von Prof. K. und vielen anderen postulierten schöpferischen Mutationen, dann bräuchte der Neodarwinismus sich nicht mit unvollständigen Modellen zufrieden geben, sondern könnte die Entstehung solcher Systeme mit positiven Mutationen direkt reproduzieren: z.B. Bakterien einen Zellkern aufbauen und sie dann in Vielzeller verwandeln, ein Lochkameraauge mit einer Linse bestücken (etwa bei Nautilus und anderen Organismen), Blätter verschiedener Spezies in einen Fangapparat ähnlich der Venusfliegenfalle oder (noch besser) ähnlich dem von Utricularia (Wasserschlauch) verwandeln etc. Viele Neodarwinisten praktizieren stattdessen genau die Methode, die sie ihren Kritikern unterstellen: sie füllen alle Wissenslücken mit Evolution durch Mutation und Selektion, einem deus ex machina, dessen Aussagen in das Journal of Irreproducible Results gehören. Vielleicht könnte man einmal den Gedanken erwägen, dass manche Lücken nicht in den Realitäten, sondern in der Theorie selbst liegen!

 

Prof. K. (Antwort 1989)

Komplexe Organe

Die Bildung komplexer Organe etc. wird neodarwinisch erklärt durch schrittweise Addition vieler, jeweils gegenüber dem Elterntyp vorteilhafteren, Erbänderungen. Die "Größen" beobachteter mutativer Phänänderungen variieren von kleinen und kleinsten meist häufigen bis zu großen sehr seltenen. Jedoch ergibt keine Mutation eine fertige Art, sondern manche nur ein speziesüberschreitendes Einzelmerkmal, wie z.B. einen Blütensporn beim Löwenmaul. Bei dieser Gattung zeigten Artkreuzungen über 100 "sichtbare" Gendifferenzen zwischen Arten an, und Proteinelektrophoresen bei Fruchtfliegen und Minnow-Fischen Mutationen in den meisten Genen. Wer fordert, additive Evolution zu einer neuen Spezies, Gattung etc. oder gar zu einem Typ mit Zellkern in einem heutigen Bakterium im Labor durch künstliche Steigerung der Mutationsrate nachzuvollziehen, vergisst, dass für eine neue Art mindestens l02 oder l03 Mutationen zu addieren wären. Die evolutive Anreicherung eines vorteilhaft (recessiv) mutierten Gens benötigt bei Diplonten ca. l03 bis l04 Generationen, z.B. Jahre, die Bildung einer Art also l05 bis l07 (was gut zu paläontologischen Befunden passt). Bei künstlich l000fach erhöhter Mutationsrate würde diese Evolutionssimulation über 100 Jahre brauchen. Bei rekombinativer Addition gesammelter künstlich induzierter Mutanten besteht die Schwierigkeit, dass neben dem interessierenden mutierten Gen meist weitere Gene oft schädlich mutiert sind; sie müssten vor der Addition entfernt werden (z.B. durch Rekombination). Ferner müssten für die vielen zu addierenden Mutantentypen je eine spezielle Selektionsmethode verfügbar sein bzw. entwickelt werden, um einen bestimmten interessanten Typ unter Millionen Individuen zu finden. Der Aufbau eines Zellkerns ist neben dem Zeitbedarf schon deshalb irreal, weil die Kernevolution gar nicht von einem heutigen Bakterium ausging, sondern von einem Prokaryontenahnen, der vor über 109 Jahren lebte.*

Dass beim Sammeln von Mutanten manche Typen wiederholt, andere nur einmal gefunden wurden (viele wegen fehlender Selektionsmethode gar nicht: Selbst bei E. coli sind nur für einen Bruchteil der Gene Mutanten bekannt), ist wegen der großen Differenzen in den Mutationsraten der Gene eines Genoms (Spanne ca. l0-4 bis unter l0-9) selbstverständlich und widerspricht nicht der Theorie. Völlig unmutable Gene (Rate Null) sind wegen der quantentheoretisch unvermeidbaren Replikationsfehler nicht zu erwarten und wegen der dafür nötigen Individuenzahlen (0 = 1/∞) nicht zu erweisen.

Theorien und ihre Widerlegung

Die praktisch nicht mögliche empirische Prüfung der Erklärung komplexer Bildung durch Mutationsaddition - weil sie sichere und genaue Kenntnis des vergangenen Evolutionswegs und aller dabei geschehenen Erbänderungen voraussetzt, die nie vorliegt - macht die Darwintheorie nicht unwissenschaftlich. Denn es gibt andere Wege zur Prüfung an ihren empirischen Konsequenzen: Die beschriebenen Evolutionstrends, die Ungerichtetheit der experimentellen Erbänderungen, ...

 

W.-E. L. (1990)

Reproduzierbarkeit der Makroevolution

Die Synthetische Evolutionstheorie behauptet mit den Hauptfaktoren Mutation und Selektion den Schlüssel zur Entstehung und Geschichte sämtlicher Lebensformen in der Hand zu haben. Zur Prüfung dieser Behauptung haben wir drei Zeitraffer in der Hand: Erhöhung der Mutationsraten, gezielte Rekombination und intelligente Selektion. Wenn wir auch nicht den genauen Ablauf historischer Prozesse wiederholen können ("- weil sie [die empirische Prüfung der Erklärung komplexer Bildung durch Mutationsaddition] sichere und genaue Kenntnis des vergangenen Evolutionswegs und aller dabei geschehenen Erbänderungen voraussetzt, die nie vorliegt -" Prof. K.), so müssten wir dennoch in der Lage sein, mit dem Schlüssel zur Geschichte der Organismenwelt selbst wieder Geschichte zu machen; Makroevolution und Bildung komplexer Systeme müssten mit den drei Zeitraffern in Anwendung der als zureichend erkannten Ursachen und Gesetze jederzeit im Experiment aufgezeigt werden können. Überdies zeigt uns das ganze riesige Gebiet der Konvergenzerscheinungen, dass ähnliche Strukturen immer wieder von neuem an den verschiedensten Stellen des Organismenreichs aufgebaut worden sind. So sind z.B. Lichtsinneszellen [nach neodarwinistischen Voraussetzungen] über 65mal und Linsenaugen wenigstens 15mal unabhängig voneinander bei den verschiedensten Tiergruppen gebildet worden (Details bei Salvini-Plawen und Mayr 1977, Autrum 1979/1981, Lönnig 1989; - und tausend weitere Beispiele in den einschlägigen Lehrbüchern und Monographien). Unterschiedliche genetische Voraussetzungen waren dafür kein Hinderungsgrund und sie sind es auch heute nicht.

Der Grund für die Nicht-Reproduzierbarkeit der Makroevolution liegt auch nicht in der Zahl von l00* Gendifferenzen zwischen den Arten - Gendifferenzen haben wir auch innerhalb von Arten genug (beim Menschen und vielen anderen Organismen gehen die DNA- und Protein-Polymorphismen in die Tausende), und wir müssten allein durch Rekombination und Selektion schon ununterbrochen neue Arten erzeugen können. Das ist jedoch nicht der Fall (Details Lönnig 1988). Die Ursache liegt vielmehr in der mangelnden Qualität der Zufalls-Mutationen: Die Wahrscheinlichkeit, auch nur eine einzige neue spezifische DNA-Sequenz von nur 100 Nukleotiden aufzubauen (Exons mittlerer Länge haben im Mittel bereits etwa 150 Nukleotide und Gene mit 1500 Nukleotiden sind keine Seltenheit) beträgt nach den Berechnungen des theoretischen Physikers Walter Heitler etwa 1 : 1060: "Das Universum müsste... mehr als 10 Billionen mal seine ganze bisherige Geschichte durchlaufen, bevor auch nur einmal das neue Gen in einem einzigen Individuum entstanden ist." (Details zur Statistik F. Schmidt 1985, Lönnig 1989). Zur Erzeugung neuer Großtaxa reichen die Punkt-. Segment- und Ploidiemutationen nicht aus. Es bedarf neuer spezifischer Sequenzen für neue Promoter-, Strukturgen- und Regulatorgenfunktionen. Deshalb liegt die gesamte postulierte Makroevolution außerhalb jeder Reproduzierbarkeit durch das neodarwinistische Faktorensystem.

Das Gesetz der Rekurrenten Variation besagt auf der Basis eines umfangreichen Tatsachenmaterials aus der Mutationsgenetik, dass die Anzahl der Mutantentypen bei den verschiederen Arten phänotypisch gegen ein Limit läuft (Details Lönnig 1988). Diese Beobachtung widerspricht der Idee unbegrenzter Evolution durch Erzeugung immer neuer sich weiterentwickelnder Phänotypen durch Zufallsmutationen. Die von Prof. K. zitierten unterschiedlichen Mutationsraten der Gene eines Genoms geben nur über die relativen Frequenzen bestimmter Phänotypen durch Spontanmutationen Aufschluss.

Rezessivität bedeutet unterschiedliche Grade von Funktionsverlust im Vergleich zum Wildtypgen (Fincham 1983, Watson et al. 1987). Mit Funktionsverlusten aber kann man keine Makroevolution und Höherentwicklung induzieren. Im übrigen werden durch manche Mutationen überhaupt keine Phänotypen erzeugt, weil jede Funktionsbeeinträchtigung bestimmter Gene im homozygoten Zustand erst gar keine Ontogenese zulässt (z.B. Histon- und Actingene; vgl. z.B. Dudler 1981). ...

Abschließend möchte ich die Frage erheben, welchen Erklärungswert eine naturwissenschaftliche Theorie haben kann, die behauptet, die physikochemischen Ursachen zur Erklärung aller Lebensformen in der Hand zu haben und dabei gleichzeitig die Unmöglichkeit der Reproduzierbarkeit ihrer Hauptaussagen zum integralen Bestandteil ihres Ideengebäudes macht. Außer der Evolution kenne ich keine andere Theorie, die sich in den Naturwissenschaften mit solchen Voraussetzungen etabliert hätte.

*Im übrigen rechnen die meisten Arttheoretiker mit wesentlich weniger Gendifferenzen für die speziestrennenden Merkmale nächstverwandter Arten (Dokumentation bei mir 1988), auch bei Antirrhinum. (Fußnote in BIOLOGIE HEUTE nicht wiedergegeben.)

LITERATUR

Alle Literaturangaben finden sich in meinen beiden folgenden Arbeiten:
Lönnig, W.-E. (1988): Artbegriff, Evolution und Schöpfung. 3. Aufl. Köln 622 p.).
Lönnig, W.-E. (1989): Auge widerlegt Zufalls-Evolution. 2. Aufl. Köln (124 p.)

 

Prof. K. (Antwort 1990)

Künstliche Makroevolution

Mutationen sind mikrophysikalische Ereignisse mit nur statistischer Kausalbindung. Wann wo welche Mutation geschieht, ist also Zufall, wenn auch, z.B. vom Genombau, begrenzter. Da nach der Theorie die Bioevolution von Mutationszufällen angetrieben wird, ist sie nicht streng determiniert und daher nicht wiederholbar, wie auch eine Serie von Würfelwürfen. Die Forderung, zum Beweis der Theorie ein Stück Makroevolution im Labor zu reproduzieren, z.B. in einem Bakterium einen Zellkern zu schaffen, ist auch aus diesem Grunde unsinnig°, daneben wegen des Zeitaufwandes und des Fehlens der ausgestorbenen Ahnen.

Es könnte also höchstens ein Stück neue Evolution gemacht werden. Lönnig meint, man müsste "allein durch Rekombination und Selektion schon ununterbrochen neue Arten erzeugen" und also "Geschichte machen" können. In der Tat ist das mit experimentellen Mutanten noch nicht getan worden, allerdings nicht wegen der Falschheit der Theorie, sondern wegen des nötigen Versuchsaufwandes: Sollen viele Mutanten, z.B. 30, von Drosophila oder Antirrhinum zu einem 30fach homozygoten Typ rekombiniert werden, so müssten in vielen Kreuzungsschritten mit jeweiliger Auswahl der Segreganten alle 30 mutierten Allele in einem Individuum vereinigt werden. Dieses muss homozygot sein, weil das neue Taxon stabil sein muss. In der letzten F2-Segregation wäre die 30fach-Homozygote zum Bruchteil ca. 1 : 22·30 [approxequal] 10-18 zu erwarten, also unter Trillionen F2-Nachkommen zu suchen. Da die Rekombination wegen Genkopplung meist nicht frei ist, wären noch viel mehr nötig. 30 mutierte Gene sind aber für höhere Taxa als Spezies sicher noch zu klein. Hinzu kommt, dass Mutanten, die bei hoher Mutationsrate durch ein Mutagen erzeugt wurden, neben der interessierenden Mutation meist noch weitere "unsichtbare" enthalten, die oft die Vitalität homozygot mindern. Bei der Kombination würden sie die Vitalität zunehmend schädigen, und die Vielfachmutante wäre oft gar nicht mehr lebensfähig. Die obige Forderung ist also schlecht überlegt, die Theorie ist damit nicht zu widerlegen.

Künstliche Evolution neuer Arten und Gattungen ist in der Pflanzenzüchtung wiederholt geschehen, und zwar durch Kreuzung von Individuen mit vielen Gendifferenzen (auch das forderte große Versuchszahlen). So wurde aus Roggen und Weizen das amphidiploide Triticale erzeugt, aus Rettich und Kohl die Raphanobrassica, aus 2 Arten Galeopsis die (auch natürlich vorkommende) G. tetrahit. Die Kombination der dafür nötigen Einzelmutanten nach obiger Forderung wäre nicht machbar. Durch Addition und Auslese spontaner Mutanten in Jahrtausenden erzeugte der Mensch die Kulturpflanzen, z.B. Mais als nahezu eine neue Art. Auch die Züchtung der Hunderassen ergab Typen mit so auffälligen Erbdifferenzen, dass man bei Unkenntnis der Artdefinition durch genetische Isolation manche für artverschieden halten kann. Bei z.B. Zwergpinscher und Bernhardiner ist die natürliche Bastardierung schon sehr schwer.

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*Prof. K. ist sich vermutlich nicht bewusst, dass er dabei die Evolution voraussetzt, die es zu beweisen gilt (jedoch ohne die evolutionstheoretische Möglichkeit der Konvergenz dazu miteinzubeziehen) und dass er dann aus der unbewiesenen Vorraussetzung die Nicht-Reproduzierbarkeit ableitet. Ist eine solche Vorgehensweise nicht eher als "irreal" einzuordenen als mein Vorschlag?

°An dieser Stelle verneint Prof. K. polemisch die Möglichkeit des ansonsten von Neodarwinisten 1000fach postulierten Phänomens der Konvergenz (siehe Beispiel oben Auge). Niemand verlangt, dass eine Serie von Würfelwürfen in genau derselben Reihenfolge reproduziert werden soll. Mit dem Konvergenzbegriff haben jedoch die Neodarwinisten selbst postuliert, dass mehr oder weniger ähnliche Serien von Mutationen zu ähnlichen Strukturen führen sollen. Wenn das nach den Voraussetzungen der Synthetischen Evolutionstheorie beim Auge 65mal möglich war (L. Salvini-Plawen und E.Mayr) - warum dann nicht beim Zellkern?


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