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V. MUTATIONEN UND DIE ENTSTEHUNG PRIMÄRER ARTBARRIEREN

 

 

EINLEITUNG

 

In Verbindung mit der Diskussion der postzygotischen Isolationsmechanismen sowie Lamprechts Artbegriff hatte ich schon eine Reihe von Kommentaren zu den Gen-, Chromosomen- und Genommutationen zitiert und diskutiert (pp. 210-212) Die Chromosomen- und Genommutationen sind auch nach Auffassung einiger neodarwinistischer Autoren kein wesentliches Element für den Ursprung der Lebensformen: Diese Mutationen haben zwar besonders bei den Pflanzen zur Variabilität innerhalb von Familien beigetragen, sie können jedoch nicht den Ursprung höherer systematischer Kategorien wie Familien, Ordnungen und Klassen wie überhaupt die Entstehung höherer Komplexitätsgrade (durch Aufbau und Integration neuer Organe und Organsysteme) im Organismenreich erklären (siehe auch pp. 240, 123-137.)

Ich habe außerdem hervorgehoben, dass auch die Genmutationen (Punktmutationen) von mehreren neueren Autoren mit guter Begründung als unzureichend für die Beantwortung der Ursprungsfrage abgelehnt werden (pp. 212, 234) und weiter die Überlegung dokumentiert, dass die genetische Information zwar ein absolut notwendiger, aber kein hinreichender Grund für die Gestaltbildung und Funktion der Organismen ist (pp. 213-269). Diesen Punkt möchte ich noch einmal besonders betonen, weil dieser wichtige Unterschied in den meisten zeitgenössischen Arbeiten nicht berücksichtigt wird. Statt dessen steht die genetische Information für die gesamten Lebensformen: Ontogenese und Phylogenese, Gestalt und Funktion - alles wird danach von den Genen dirigiert und "gemacht" und wird mit Genfunktionen identifiziert.

Cohen hat diese Tendenz nach einigen Bemerkungen zur Präformationstheorie wie folgt beschrieben (1979, pp. 1, 3, 5 und 7):

... modern preformationism, with replication, is still very much with us, as in such phrasings as 'to the extent that all the structures and performances of organisms result from structures and activities of the proteins composing them, one must regard the total organism as the ultimate epigenetic expression of the genetic message itself' (Monod, 1974). In this phrase 'epigenetic' is used wrongly, to refer only to this extension of previously intensive message. The implication is clear: the zygote genetic message produces the embryo, and there is no room for, for example, maternal effects.

Usually, the mistaken view has been promulgated that when allelic differences at a known genetic locus cause differences in phenotype, the gene concerned controls (indeed, even 'causes') the character concerned; see Monod (1974) for innumerable examples and Waddington (1957) for the argument...

Ontogeny had become the working out of the sequential chemistry of the dogmatic DNA story;

- Und er korrigiert diese Auffassung u.a. wie folgt (p. 7):

The oocyte is shown to be loaded, not only with 'housekeeping utensils' but also with the explicit spatial and temporal instructions for the first phase of development. Unlike cells, it has a melange of components and organization from many sources, with a built-in programme of cleavage divisions to apportion this complexity, independently of its own nuclei. Indeed, the heterogeneity of cytoplasms in which later nuclei find themselves determines their developmental paths. (Kursiv vom Verfasser.)

Ich habe schon darauf hingewiesen, dass nach Auffassung mancher Biologen die zytoplasmatische Heterogenität wiederum ausschließlich von Kerngenen während der Oogenese bestimmt werden soll, nach Ansicht anderer jedoch ein selbständiges bzw. sogar übergeordnetes System repräsentiert.

Nieuwkoop, Johnen und Albers gehen noch über Cohens Formulierungen hinaus, indem sie auch die zytoplasmatische Komponente dem Präformationsbegriff unterordnen und (1985, pp. 279, 280) schreiben:

Markert (1965*) emphasised hat not all information required for development is encoded in the DNA, since there is cytoplasmic continuity between the generations involving the transfer of a complex cellular organisation, of which the DNA is ony a part. The interaction between the DNA and the rest of the cell in a sense provides the motive force for development and differentiation. Chandebois & Faber (1983*) compare the cellular DNA to the 'hardware' of the computer and the developmental programme, represented by the cellular organisation of the egg and the subsequent intra- and intercellular interactions, to the 'software'. The complex cellular organisation in our opinion represents the preformistic element in development, as discussed on p. 272.

The hypothesis of Morgan (l934*), already half a century old, which implies that nuclear activity diverges in different parts of the developing organism due to differences in cytoplasmic composition, still seems to account for the known facts. It has been further substantiated by Davidson and coworkers (see E. H. Davidson, 1976*), Gurdon and coworkers (see Gurdon, 1967b*, 1968b*), Brachet (l967a*), Gross (l967a*, b*) and others.

Unfortunately we know little about the regulatory rnechanisms involved in nucleocytoplasmic interactions.

Sie selbst bemerken zum Epigenesisbegriff unter anderem (p. 272):

'Epigenesis' implies an increase in complexity of the developing egg and embryo through interaction with its environment and among its constituent parts. ... we have tried to show that chordate development (including that of lower chordates) is almost entirely epigenetic, representing a gradual increase in heterogeneity of the developing system due to inductive interactions among its different parts (see Fig. 37).

- welcher Problemkreis in dem Buch ausführlich dokumentiert und diskutiert wird, wobei die Autoren auch wiederholt auf offene Fragen hinweisen.

Auf der anderen Seite ist eine Unterschätzung der genetischen Komponente, wie sie etwa von weiten Bereichen der Embryologie jahrzehntelang praktiziert wurde, ein genauso schwerer Fehler wie die Verwechslung notwendiger mit hinreichenden Bedingungen. Browder schreibt (1984, p. 20) zur Geschichte der Embryologie, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die klassische Genetik und Zytologie nicht in der Lage waren, die entscheidenden Fragen der Ontogenese zu erklären:

The embryologists' disillusionment with genetics was complete. Many embryologists considered genetics to be peripheral to the fundamental rnechanism of development. They believed that the basic structure of an embryo is produced by embryological mechanisms and that the only function of genes is to add the nonessential finishing touches, such as eye and hair color, number of bristles on a leg segment, and color of flower petals. Emphasis during the 1920s, 1930s and 1940s was on the descriptive and comparative aspects of embryonic development.

Wie sehr sich aufgrund der molekularbiologischen Ergebnisse das Bild inzwischen verändert hat, haben wir oben schon gesehen. Sowohl Embryologie als auch die klassische Genetik und Zytologie haben durch die Molekularbiologie entscheidende Impulse erhalten, und der klassischen Genetik ist für weite Bereiche das biochemische Fundament gegeben worden.

Um so unverständlicher ist die oben dokumentierte Tatsache, dass bis heute viele Biologen die Bedeutung der Mendelschen Regeln für den Artbegriff nicht voll erfasst haben und entsprechend nicht bei der Bearbeitung systematischer und evolutionistischer Fragen berücksichtigen. Die Beweiskette für die Richtigkeit der Mendelschen Regeln umfasst heute drei verschiedene Ebenen: Die klassisch-genetische Forschung, die Zytologie und die Molekulargenetik (Einwände Dovers vgl. Nachtrag p. 541). Auf der klassisch-genetischen Ebene beruht bis heute praktisch die gesamte Pflanzen- und Tierzucht (vgl. z.B. Leibenguth 1982, Arias et al. 1983) und selbst stabilere Gentransfererzeugnisse folgen diesen Regeln (Potrykus et al. 1985); die Zytologie erklärt mit chromosomaler Rekombination und Reduktion in der Meiosis sowie mit der Zygotenbildung die Mendelsche Spaltung und Rekombination so klar, dass Browder (1984, p. 16) unter der Überschrift THE MENDELIAN ERA in seinem Buch DEVELOPMENTAL BIOLOGY sogar vorn 'endgültigen Beweis der Chromosomentheorie der Vererbung' durch die Arbeiten von Morgan, Sturtevant, Bridges und Muller gesprochen hat. Die Molekularbiologie hat uns mit ihrer Gensequenzierung und der physiologischen Klärung von Genwirkketten die Mendelschen Regeln auf biochemischer Ebene verständlich gemacht. Über 98 % aller Proteinpolymorphismen folgen dieser Gesetzmäßigkeit (siehe z.B. Rudolph und Burch 1987). Nichtanerkennung und Nichtbeachtung dieser Regeln bei systematisch-evolutionistischen und züchtungsgenetischen Fragen ist mit Unwissenheit bzw. bewusstem Aus-dem-Wege-gehen dieser Tatbestände gleichzusetzen.

So gelten die Mendelschen Regeln z.B. auch für die Zeit der Genkonstanz nach erfolgten Punktmutationen, Deletionen und Duplikationen. Ebenso gelten sie für aktive Transposons, soweit die Gameten nicht betroffen sind sowie für durch somaklonale Variation entstandene Mutanten (vgl. dazu p. 435-437). Zum Transposon-Thema kommentieren Nevers, Shepherd und Saedler (1985, p. 109):

In the most common case, integration of a transposable element at a locus causes a mutation that is recessive to wild type and exhibits monoallelic segregation...

A hybrid carrying a dominant wild-type gene involved in anthocyanin synthesis in one homolog and a transposable element inserted at the same locus in the chromosome homolog will have fully colored flowers. The progeny of this hybrid will include wild-type and variegated plants in a ratio of 3 : 1. When the same mutable allele is combined with a stable recessive allele in a heterozygote, the variegated phenotype of the mutable allele will prevail since it is formally dominant to the stable recessive one. In the following generation, after selfing, the hybrids segregate three variegated plants to each stable recessive one. In backcrosses of the hybrid with a homozygous stable recessive tester strain, 50 % of the progeny will be variegated and 50 % stable recessive.

Wie ich oben ausführlich dokumentiert habe, gehören sämtliche Rekombinanten einer Mendelschen Population zur gleichen Art. Das gilt selbstverständlich auch für die reziproke Überführung gekoppelter Gene und für die zum großen Teil durch Ausfall genetischer Information entstandenen "imaginären" Rekombinanten (Kreuzt man eine Pisum-Linie, die im ganzen nur 16 Nodien aufzuweisen hat, davon die unteren 7 steril, mit einer Linie, die insgesamt 30 Nodien hat - davon die unteren 21 steril -, so erhält man die imaginäre Rekombinante mit 16 Nodien, "davon" 21 steril.) sowie durch Veränderungen und Strukturabbau gegebenen Schwierigkeiten bei Zellorganellen.

Mit diesen einleitenden Bemerkungen zur genetisch-plasmatischen Organisation der Lebensformen, der Epigenese und der Bedeutung der Mendelschen Regeln für den Artbegriff möchte ich noch einmal unterstreichen, dass es sich bei der Frage nach der Entstehung der primären Artbarrieren um ein vielschichtiges Problem handelt und dass wir uns bei der Behandlung der Mutationsfrage mit nur einem Teil des Ganzen beschäftigen, denn selbst die vollständige Lösung der Entstehung aller kerngenetischen Information wäre nur eine Teilantwort auf die Frage nach dem Ursprung der Lebensformen. Eine Escherichia coli Zelle mit der gesamten genetischen Information des Menschen versehen würde kein menschliches Wesen erzeugen: die Disharmonie zwischen der gegebenen zellulär-plasmatischen Organisation des Bakteriums und dem genetischen Inhalt wäre so groß, dass nach kurzer Zeit das System zusammenbrechen würde. (Schon bei Maus-Mensch-Hybridzellen werden die menschlichen Chromosomen sukzessive eliminiert.)

Mit den einleitenden Bemerkungen habe ich auch die Zentralbegriffe der heutigen Auffassug zur Entstehung der genetischen Information genannt, nämlich die Punktmutationen, Duplikationen (mit Pseudogenen) und Transposons. Im Zusammenhang mit dem letzteren Thema werden neuerdings zunehmend auch die Retroviren für einen horizontalen Gentransfer diskutiert.

Es sei an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben, dass in den meisten zeitgenössischen Abhandlungen zur Ursprungsfrage in Verkennung des vielschichtigen Sachverhalts die Entstehung der genetischen Information mit dem Ursprung der Lebensformen gleichgesetzt wird, und dass damit notwendige mit hinreichenden Bedingungen verwechselt werden.

 

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NACHTRAG ZU SEITE 327 (MENDELSCHE REGELN)

Einwände zur generellen Gültigkeit der Mendelschen Regeln kommen neuerdings vom Molekularbiologen G.A. Dover. Er bemerkt 1986, pp. 203/204 [THE SPREAD AND SUCCESS OF NON-DARWINIAN NOVELTIES. In: Evolutionary Process and History, 199 - 253. (Eds.: S. Karlin und E. Nevo) Orlando]:

...ample studies on the molecular behavior of eukaryote genomes over the past decade have revealed that, in addition to mutation, a vast proportion of the DNA is subject to a variety of non-reciprocal exchanges that can transfer mutational variants from one locus to another and from one chromosome to another. All such mechanisms of non-reciprocal exchange (gene conversion, unequal exchange, transposition, slippage replication and RNA-mediated transfers) induce rare but persistent non-Mendelian patterns of segregation which can induce the spread of mutations through a population over long periods of time. These mechanisms operate in both single-copy genes and multigene families, although their effects are more easily noticeable in multigene families which show relatively high species-specific patterns of homogeneity. It is conceivable that strict Mendelian genes and stable Mendelian populations in long-term Hardy-Weinberg equilibria do not exist, except when generally observed over short periods of time and in small numbers of progeny.

It is of significance that the mechanisms of DNA turnover proceed generally at rates (10-2 - 10-5 per generation) which lie between the mutation rate and the rate at which chromosomes are continually randomized between generations. Hence, at the level of the chromosome, the Mendelian laws of segregation and stable Mendelian populations are relevant and accurate; at the level of DNA they are not, except on a short-term observational basis. The degree to which the behavior of the chromosomes and the behavior of DNA are out of synchrony could be of long-term evolutionary significance.

Ich habe an mehreren Stellen meiner Arbeit (z.B. pp. 193, 337, 346, 360, 409, 410, 422, 463) auf (Reparaturmechanismen und) die hierarchische Ordnung in den Möglichkeiten der Sequenzvariabilität aufmerksam gemacht. Für die verschiedenen Gensysteme liegt in Korrelation mit Aufgaben und Umwelt ganz offensichtlich ein oft sehr unterschiedlicher Redundanzgrad vor: Bestimmte Sequenzen können wenig oder gar nicht variieren, andere zeigen schon mehrere Allele innerhalb einer Population, und auf die Funktion manch anderer wieder kann ein Organismus ganz und gar verzichten. Neben den vielen oben zitierten Beispielen sei hier weiter eine Studie von R.S. Singh und L.R. Rhomberg von 1987 erwähnt (A COMPREHENSIVE STUDY OF GENIC VARIATION IN NATURAL POPULATIONS OF DROSOPHILA MELANOGASTER. II. ESTIMATES OF HETEROZYGOSITY AND PATTERN OF GEOGRAPHIC DIFFERENTIATION. Genetics 117, 255 - 271). Von 117 untersuchten Genloci stellen sie fest, dass 61 polymorph und 56 weltweit monomorph sind. "...polymorphic loci are mostly di- or tri-allelic. Thirty-one loci (50%) have only two major alleles (each with frequency 10% or more). Only 24 loci (40%) have two major alleles each with frequencies over 20%. Only two loci have three alleles with frequency 10% or more" (p. 257). Wenn sich auch in Zukunft auf der DNA-Ebene sehr wahrscheinlich weitere Polymorphismen nachweisen lassen werden, so ist doch der Trend solcher Studien völlig eindeutig und beweist die differentielle Gen-Variabilität.

Aufgrund der zuständigen Daten können wir feststellen, dass Dovers "persistent non-Mendelian effects of DNA turnover" (= molecular drive) nicht auf "forbidden mutations" (Ohno, Blixt vgl. p. 349) zutreffen können und ebensowenig auf den unverzichtbar-konservativen Teil der Genfunktionen, der nur ein oder wenige Allel(e) zulässt. Und dazu dürften z.B. auch die Tausende von Enzymfunktionen gehören, von denen selbst noch Prokaryonten und Säugetiere 93% gemeinsam aufzuweisen haben (vgl. p. 234). [Nachtrag 2002: in den letzten Jahren ist im Zuge der weiteren Forschung der Divergenzgrad gestiegen.]

Die pp. 161 - 168 aufgeführten Tatsachen zum Thema Chromosomenfeld lassen sich ebenfalls nicht mit einem totalen Molecular Drive in Einklang bringen. Das DNA-Turnover muss hier vielmehr weitgehend eingeschränkt sein: wie sonst sollte das Chromosomenfeld über die postulierten Jahrmillionen bei Billionen von Individuen und ebenfalls Millionen von fortpflanzungsbiologisch (geographisch und prae- und postzygotisch sowie zeitlich) voneinander getrennten Populationen noch irgendeinen Rest von Kopplung und Ordnung aufweisen?

Bei der Genkonversion handelt es sich in erster Linie um einen Mechanismus zur Bewahrung der Sequenzen einer Genfamilie (vgl. pp. 431/433), eine Art Reparatur- und Korrekturmechanismus zur Eliminierung von Sequenzabweichungen (Mutationen). Die Aufgabe und Wirkung dieser Hauptfunktion kann also nicht größer sein als die Mutationsfrequenz. (Ausnahme: 'biased gene conversion'.) So bemerkt auch Dover 1986 (TIG 2, 163) zur Verbreitung neuen Varianten in Genfamilien: ''In the early stages there is a high probability that the new variant becomes lost from the population."

Zur Gültigkeit der Mendelschen Gene und Populationen nur "over short periods of time and in small numbers of progeny" (vgl. vorige Seite): Wie jeder erfahrene Genetiker weiß, entsprechen seine Daten um so genauer den Mendelschen Regeln, je größer seine Populationen sind. Gibt es beispielsweise bei ein paar Dutzend Pflanzen noch starke Abweichungen von den Spaltungsregeln, so sind solche bei 1000 Pflanzen in der Regel nur noch gering und der geringe Promillesatz von Abweichungen von der Uniformitätsregel ist nur noch für bestimmte Fragestellungen - eben jener Instabilitäten - interessant. Dazu einige Beispiele aus eigener Arbeit:

Erwartet: 9 : 3 : 4 Spaltung (violett : eosinea : weiß) bei Antirrhinum

Kleine Zahl: 61 Pflanzen
Ideale Werte: 34,3 : 11,4 : 15,25
Gefunden: 29 : 16 : 16

Mittlere Zahl: 298 Pflanzen
Ideale Werte:167,6 : 55,8 : 74,5
Gefunden: 161 : 56 : 81


Erwartet: 3 : 1 Spaltungen (1. zygomorph: fimbriata, 2. zygomorph: radiär)

Abb.: (1) zygomorph und (2) fimbriata: aus Stubbe 1966; (3) radiär: aus Baur 1924

Kleinere Zahlen: stärkere Abweichungen.

Mittlere Zahl: z.B. 1.) 312 Pflanzen
Erwartet: 234 : 78
Gefunden: 217 : 95 (2,28 : 1)

Größere Zahlen:
1.) 798 Pflanzen
Ideale Werte: 598,5 : 199,5
Gefunden: 595 : 203
2.) 870 Pflanzen
Ideale Werte: 652,5 : 217,5
Gefunden: 659 : 211

Erwartet: F1-Uniformität (Kreuzung zygomorph x fimbriata)

F1-Pflanzen: 61 500; Abweichungen: 4 fimbriata-Pflanzen, davon 2 mit normaler Fertilität (die beiden anderen Aneuploidien?). 1 Pflanze mit einem fimbriata-Trieb (übrige Triebe normal) und 5 Pflanzen mit anderen Anomalien in der Blütenfarbe und -form, z.T. nicht erblich.

Abweichungen von 10-2 bis 10-5 fallen somit kaum ins Gewicht, wobei noch hervorzuheben ist, dass 10-2 nun aber wirklich die Ausnahme für ganz spezielle Linien und Gene ist. 10-3 kann man auch noch nicht als Regel bezeichnen. Ein solcher Wert gilt vielleicht häufiger für Linien mit aktiven (bzw. aktivierten) Transposons und auch hier nur für bestimmte Loci wie den komplexen Loci. Ich fand einen annähernden Wert für den Cycloidea-Locus bei Antirrhinum majus (F1 einer Kreuzung zwischen aktive Transposons tragende zygomorphe und cyc- Linien). Unter den gleichen Voraussetzungen lag der Wert für den fimbriata-Locus bei etwa 10-4 [beim Mais gibt es Beispiele für 10-6].

Für die wenig- bis nicht-redundanten Genfunktionen gilt jedenfalls die annähernde Konstanz der Mendelschen Populationen (Hardy-Weinberg-Regel). Absolute Konstanz hat es aufgrund der zitierten Mutationsfrequenzen (vgl. p. 340) sowieso nie gegeben.

Zeit: Sobald die durch das Molecular Drive verursachten Dysfunktionen homozygot werden, werden sie durch 'natural rejection' eliminiert. Hier gelten die Gesetze der Genetischen Bürde ("genetic load"). Ich bin sicher, dass eine Dysfunktion im Chalcon-Synthase-Gen von Antirrhinum majus oder irgendeiner anderen Blütenpflanze vor 20 000 Jahren oder auch vor 100 000 000 Jahren - falls es sie da schon gegeben hat - dieselbe 3 : 1 Spaltung zeigte wie heutzutage und dass - die Kontinuität der Welt vorausgesetzt - das in 100 000 000 Jahre immer noch der Fall sein wird. Und dieser Grundsatz ist auf alle vergleichbaren Genfunktionen und Genmutationen anwendbar!

Interesse, Faszination und Forschung zum Thema der DNA-Instabilitäten sollten niemand davon abhalten, sich wieder einmal die experimentell über Jahrzehnte beobachtete und bestens abgesicherte Stabilität von DNA-Sequenzen bewusst zu machen. Kaudewitz hat diesen Punkt sehr schön wie folgt veranschaulicht (1983, pp. 111/112):

Setzen wir das einzelne Mononukleotidpaar als kleinste Informationseinheit der DNA, dem Buchstaben eines ebenfalls informationsspeichernden Druckwerkes gleich, dann ergeben sich folgende Zahlenwerte: Die DNA der Escherichia coli-Zelle ist aus rd. 4 x 106, also 4 Millionen aneinandergereiten Mononukleotidpaaren aufgebaut, die Seite eines Buches enthält rd. 1500, also 1,5 x 103 Buchstaben. Diese Zahl müssen wir mit rd. 2,7 x 103, also 2700 multiplizieren, um 4 x 106 zu erhalten. 2700 wäre damit die Anzahl der benötigten Buchseiten. Sie ergäbe 5 stattliche Bände von je 540 Seiten. In unserem Vergleich würden sie die genetische Information einer Bakterienzelle enthalten. Beeindruckend ist dabei der verschwindend geringe Raumbedarf, der benötigt wird, um den Informationsgehalt dieser voluminösen Bände in der lebenden Zelle in Gestalt einer Mononukleotidsequenz unterzubringen. Das dazu benötigte DNA-Molekül besitzt eine Länge von 1,36 mm, bei einer Dicke von 2 Millionstel mm. Von dieser Abschätzung ausgehend ergibt sich eine beeindruckende Aussage über die Stabilität der DNA. Bei einer mittleren Mutationsrate für ein durchschnittliches Gen von 10-8 und 3 x 103 als der Anzahl der Gene je Zelle ergibt sich 3,3 x 104 als Anzahl der Zellen, unter denen eine einzige eine beliebige Mutation aufweist. Diese hat eines der 1,3 x 1011 Mononukleotidpaare (3,3 x 104 multipliziert mit 4 x 106 als der Anzahl der Mononukleotidpaare je Zelle) verändert. Nach obigen Angaben den Buchstaben in Büchern mit je 8,1 x 105 (= 1,5 x 103 X 5,4 x 102) Buchstaben je Band gleichgesetzt, ergeben das 1,6 x 105 = 160 000 Bände. In einem dürfte sich nur ein einziger Druckfehler als Analogon eben dieser Mutation finden.

J.F. Leshe und W.B. Watts führen (1986; TIG 2, 288 - 291) als weitere Abweichungen von den Mendelschen Regeln postmeiotische Spaltung und intragene Rekombination auf. Wie schon p. 328 angedeutet gelten die Mendelschen Regeln grundsätzlich für den Zeitraum der Sequenzkonstanz. Diese Konstanz kann jedoch für die einzelnen Gen-Sequenzen zeitlich und örtlich in unterschiedlicher Frequenz durch Instabilitäten verschiedenster Art unterbrochen werden (Ausfall von Reparaturmechanismen, germinale Transposonaktivitäten, slippage replication etc.). Die Regeln gelten aber sofort wieder für die Replikationszahlen und Zeiträume, in denen die veränderten Sequenzen konstant bleiben - und das ist der überwältigende Anteil der Replikationszahlen und Zeiten (vgl. Zitat Kaudewitz).

Bedeutung des Molecular Drive: Die Bedeutung dieser Prozesse für das Degenerationsthema und neutrale Sequenzvariationen ist kaum zu überschätzen. Details im Degenerationskapitel p. 403 ff. und pp. 456 und 463. Im Sinn zu behalten ist dabei, dass auch die mutierten, inserierten, repetierten redundanten Sequenzen den Mendelschen Regeln folgen. (Bedeutung für die molekularen Uhren: vgl. p. 557, Fußnote.)


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