voriges Kapitel - zum Inhaltsverzeichnis - nächstes Kapitel

 

2. DER ARTBEGRIFF DER SYNTHETISCHEN EVOLUTIONSTHEORIE

 

STÄRKEN

Der Fortschritt gegenüber dem phänotypisch-morphologischen Artbegriff wurde bei den Artdefinitionen schon hervorgehoben. Unter Einbeziehung genetischer, ethologischer und ökologischer Faktoren wird die Art zur polytypischen, natürlichen Fortpflanzungsgemeinschaft, zur umfassendsten Mendelschen Population etc. (vgl. pp. 38-43). Multidimensionale biologische Gegebenheiten werden berücksichtigt. Eine umfassende Revision der Systematik mit klärenden Ergebnissen hat damit für verschiedene Pflanzen- und Tiergruppen eingesetzt (vgl. Details oben). Selbst der Kreationist Marsh kommentiert 1976, p. 27 den biologischen Artbegriff wohlwollend (obwohl er die Kreuzbarkeit - crossability - zuvor stärker betont als für den neuen Artbegriff angemessen):

The creationist welcomes the recognition of these units in nature on the part of the evolutionist, because it marks a forward step toward agreement as to what constitutes the real unit in the living world. The concept of the creationist regarding Genesis kinds, and of the evolutionist regarding the biological species, agree delightfully on a number of points. Both agree that the species is a self-reproducing and reproductively isolated population consisting of individuals which may vary considerably among themselves in their form, structure, coloration, and body covering.

Allerdings führt die Verabsolutierung verschiedener Aspekte der reproduktiven Isolation beim biologischen Artbegriff zu Schwierigkeiten, mit denen wir uns im Folgenden näher beschäftigen wollen.

 

SCHWÄCHEN

Eine ganze Anzahl von Autoren hat sich mit dem Wesen der reproduktiven Isolation beschäftigt. Nach White 1978 und Mayr 1982, p. 275, war der oben schon zitierte schwedische Botaniker Du Rietz (1930) "apparently the first to provide a detailed listing and classification of such barriers to the interbreeding of species". Von Dobzhansky (1937) stammt der Ausdruck "Isolationsmechanismen", wobei er zwischen geographischen und physiologischen Isolationsmechanismen unterschied. Mayr hingegen begrenzt den Begriff auf die biologischen Eigenschaften der Spezies - geographische Barrieren werden nachdrücklich ausgeklammert. Die Handhabung in der Praxis sieht jedoch des öfteren anders aus. Einzelheiten zur Geschichte findet der interessierte Leser bei Mayr 1963, 1982.

Von Stebbins stammt die folgende Zusammenstellung der wichtigsten Isolationsmechanismen, die gemäß dem biologischen Artbegriff Spezies voneinander trennen (1980, p. 124 - ähnlich Savage 1966/1973; Grant 1963/1976; Dobzhansky 1977; White 1978; Osche 1982; Heß 1983 u.v.a):

A. Präzygotische Mechanismen. Verhindern Befruchtung und Zygotenbildung.

1. Lebensraum. Die Populationen leben in denselben Gegenden, haben aber verschiedene Biotope inne.

2. Jahreszeitlich oder temporär. Die Populationen leben in denselben Gegenden, sind aber zu verschiedenen Zeiten geschlechtsreif.

3. Ethologisch (nur bei Tieren). Die Populationen sind durch verschiedenes, nicht zusammenpassendes Verhalten vor der Paarung isoliert.

4. Mechanisch. Fremdbefruchtung wird durch Unterschiede im Bau der Fortpflanzungsorgane (Genitalien der Tiere, Blüten der Pflanzen) verhindert oder eingeschränkt.


B. Postzygotische Mechanismen. Die Befruchtung findet statt, und die Hybridzygoten werden gebildet, aber sie sind nicht lebensfähig oder es gehen aus ihnen schwache oder sterile Hybriden hervor.

1. Hybridensterblichkeit oder -schwäche.

2. Entwicklungssterilität bei Hybriden. Die Hybriden sind steril, weil sich ihre Gonaden anormal entwickeln, oder die Meiose bricht vor der Vollendung zusammen.

3. Segregationssterilität bei Hybriden. Die Hybriden sind steril, weil sich ganze Chromosomen, Chromosomensegmente oder Genkomplexe ungleichmäßig auf die Gameten verteilen.

4. F2 -Zusammenbruch. Die F2-Hybriden sind normal, kräftig und fertil, aber die F2 enthält viele schwache oder sterile Individuen.

Zu A., den präzygotischen Mechanismen, sei zunächst hervorgehoben, dass keiner der vier Punkte (Lebensraum, Jahreszeit der Fortpflanzung, Verhalten und 'Mechanik') eine feste genetische Barriere bildet. Ganz im Gegenteil, jeder dieser Isolationsmechanismen kann von Teilen einer größeren Population sowohl in der Natur aufgehoben sein, als auch durch das Geschick des menschlichen Züchters aufgehoben werden. Wie viele Beispiele zeigen, reicht jedoch dem Neodarwinismus bereits jeder einzelne dieser Punkte schon aus, um unterschiedliche Formen in den Rang von echten Arten zu erheben, wobei Kombinationen dieser vier Punkte die Schlussfolgerung weiter bestärken. Vor Erörterung dieser einzelnen Punkte wollen wir einen Blick auf die geographische Isolation werfen.


voriges Kapitel - zum Inhaltsverzeichnis - nächstes Kapitel
Internet address of this document: internetlibrary.html
© 2001 by Wolf-Ekkehard Lönnig - loennig@mpiz-koeln.mpg.de

Disclaimer