3. DIE ETHOLOGISCHE ISOLATION
"Sexual (ethological or behavioral) isolation is the most powerful agency keeping apart related sympatric species in many, though not all, groups of the animal kingdom" (Dobzhansky 1977, p. 173). Wie wir oben schon zitiert haben, sind bei der ethologischen Isolation die Populationen durch 'verschiedenes, nicht zusammenpassendes Verhalten vor der Paarung isoliert'.
In der Beurteilung, dass 'ethologische Schranken bei den Tieren die wichtigsten isolierenden Mechanismen sind' (Mayr), sind sich mit Dobzhansky und Mayr zahlreiche Autoren einig. Lüers, Sperling und Wolf beschreiben diese Mechanismen 1974, p. 312 wie folgt:
Bei den sexuellen bzw. ethologischen Isolationsmechanismen ist davon auszugehen, daß für eine Vereinigung der Geschlechter stets bestimmte Vorbedingungen erfüllt sein müssen, mögen sie ganz primitiv oder hochkompliziert sein. Diese Vorbedingungen liegen generell innerhalb jenes breiten Rahmens, der durch Aussendung und Empfang bestimmter Sinnesreize gekennzeichnet ist. Die Skala reicht von einfachen akustischen, chemischen oder taktischen Signalen bis zu kompliziertestem Balzverhalten, bei dem nicht nur der optische Sinn, sondern gleichzeitig auch Kombinationen anderer Rezeptoren angesprochen sein können. Letzteres wird selbst bei Organismen gefunden, die in ihren sexuellen Partneransprüchen als recht simpel erscheinen, wie z.B. bei der Drosophila mit ihren zahlreichen Arten (SPIETH, 1968). Immer dort aber, wo zwei Geschlechter in der Genetik ihres Sexualverhaltens nicht aufeinander abgestimmt sind, besteht Isolation. Darüber gibt es besonders zu den Barrieren zwischen den Drosophila-Arten eine sehr umfangreiche Literatur, die hauptsächlich Laboratoriumsexperimente betrifft, wie sie seit den dreißiger Jahren von DOBZHANSKY und seinen Mitarbeitern in mannigfaltigen Variationen durchgeführt wurden. Im Prinzip handelt es sich stets um Versuche über Partneraffinitäten oder um selektive Begattungen in gemischten Populationen verschiedener Arten mit unterschiedlichen Geschlechterkombinationen.
Osche spricht 1979, pp. 81 - 83 von chemischen, akustischen und optischen Artkennzeichen, die er wie folgt beschreibt:
Chemische Artkennzeichen, in Form von Düften. Sie spielen bei zahlreichen Insektenarten (z.B. Schmetterlingen) eine Rolle, wo meist die Weibchen jeweils artspezifische Lockdüfte (Pheromone) aussenden, auf welche die Männchen selektiv ansprechen und dadurch nur artgleiche Weibchen begatten. Auch im Sexualleben von Säugetieren sind artspezifische Düfte von Bedeutung; vor allem daran erkennen sich z.B. die so unterschiedlich gestalteten Hunderassen als Artgenossen.
Akustische Artkennzeichen. Zahlreiche Vogelarten, aber auch Heuschrecken, Grillen, Frösche u.a., produzieren vor allem zur Fortpflanzungszeit artspezifische Laute oder Gesänge, an denen sich die Artgenossen erkennen. Das gilt vor allem auch für Arten, die sich optisch wenig unterscheiden. So sind die früher genannten Artenpaare unter den Vögeln, wie Sommer- und Wintergoldhähnchen, Wald- und Gartenbaumläufer, Fitis und Zilpzalp, in Gestalt und Färbung kaum zu unterscheiden, weisen jedoch sehr differente Gesänge auf.
Optische Artkennzeichen. Für den Menschen als "Augenwesen" sind am auffälligsten optische Artkennzeichen. Dazu gehören einmal charakteristische Verhaltensweisen, wie sie in der Balz zahlreicher Tiere auftreten, zum anderen artspezifische Gestalt- oder Farbmerkmale. Oft sind auffallende optische Kennzeichen nur bei einem der beiden Geschlechter (in der Regel beim Männchen) entwickelt, während die Weibchen, die das Brutgeschäft und das Führen der Jungen übernehmen, eine unscheinbare Schutzfärbung aufweisen.
- worauf als Beispiele das recht einförmige Brutkleid der weiblichen Tiere der Entenarten (im Gegensatz zu den unterschiedlichen Hochzeitskleidern der Männchen), der rote Bauch des Stichlings, die typischen Musterunterschiede bei nahe verwandten Korallenfischen und auch bei Meerkatzen folgen. Weiter betont der Autor:
In manchen Fällen sind artcharakteristische Farbmerkmale unauffällig und auf relativ kleine Körperpartien beschränkt. So ist bei den Arten der europäischen Schwäne die Schnabelfärbung verschieden, allerdings nur bei den fortpflanzungsfähigen, geschlechtsreifen Tieren, während die Jungvögel sich in dieser Beziehung wenig unterscheiden. Selbst so minutiöse Unterschiede, wie die Färbung der Iris des Auges und die einer unbefiederten Hautpartie um das Auge, können optische Artkennzeichen abgeben, wie es für einige arktische Möwenarten nachgewiesen ist. Ändert man die Farbe dieses Augenrings durch Bemalung, so lösen sich sogar bereits gebildete Paare wieder auf, da der "geschminkte" Partner offenbar nicht mehr als Artgenosse erkannt wird.
Nun dürfte für die Mehrzahl aller genetisch programmierten Verhaltensweisen (einschließlich Auslösemechanismen wie die zitierten chemischen, akustischen und optischen Kennzeichen und Reize sowie der Reizperzeption) klar sein, dass hier Polygenie vorliegt. Nimmt man nur einmal 5 bis 7 Gene mit jeweils einem Allel für einige Merkmale der Merkmalskette an, dann gibt es für solche Merkmale auch 25 bis 27 homozygote Rekombinationsmöglichkeiten (= 32 bis 128 homozygote, unterschiedliche Rekombinanten).
Die Anwendung des Neukombinationsgesetzes auf Schlüsselmerkmale des Verhaltensprogramms (sowie auf das Verhaltensprogramm selbst), zeigt uns, dass Rekombination auch hier nicht mit Artbildung verwechselt werden darf. Denn wie viele Arten könnte man durch Rekombination erzeugen? - Bei Polygenie in mehreren Merkmalen und Verhaltensprogrammen jeweils Hunderte und Tausende neuer Spezies! (Vgl. das Rekombinationsquadrat p. 80) Voraussetzung für Artbildung wäre unter anderem zumindest der Nachweis, dass durch Mutation und Rekombination eine durch den Aufbau neuer Strukturen bedingte genetische Schranke entstanden ist (d.h. Rekombinante A ist auch bei Überwindung des Verhaltensprogramms durch den menschlichen Experimentator - zum Beispiel durch gemeinsame Aufzucht der Formen, künstliche Befruchtung etc. - mit Rekombinante B nicht mehr kreuzbar).
Das allerdings ist bei den meisten der oben zitierten Fälle ethologischer Isolation nicht gegeben. Beim Lernverhalten einschließlich Prägung ist zwar das 'Lernpotential' und die Prägungsphase genetisch vorgezeichnet, häufig aber nicht, was gelernt bzw. worauf geprägt werden soll. Damit wird auch für weite Bereiche der ethologischen Isolation wieder die Frage nach der Reversibilität (bei der Prägung spätestens für die noch nicht geprägte nächste Generation) aktuell. Kann man bei reversiblem Lernverhalten tatsächlich von "Artbildung" sprechen? Sind rekombinierbare Merkmale und Verhaltensprogramme "Artkennzeichen"?
Es steht außer Frage, dass Prägung (bzw. Lernverhalten allgemein) für die ethologische Isolation von großer Bedeutung sein kann. Eibl-Eibesfeldt kommentiert diesen Punkt 1980, p. 328 (Vgl. auch die 7. Auflage 1987):
Sexuelle Objektprägungen bewirken Kreuzungsbarrieren zwischen nah verwandten Arten, was bei sich rasch entwickelnden Artengruppen wichtig ist. Da in die erworbene Objektkenntnis mehr Merkmale eingehen als über einen angeborenen Auslösemechanismus, werden Verwechslungen zwischen einander ähnlich sehenden verwandten Arten eher vermieden. Das trifft unter anderem für die afrikanischen und australischen Estrildiden zu (K. IMMELMANN 1970, dort auch weitere Angaben über prägungsbedingte Isolationsmechanismen).
Auf prägungsähnliche Fixierungen auf die Nahrungswahl und auf Wirtspflanzen wiesen wir bereits hin, und wir vermerkten, daß eine solche gelernte Fixierung Schrittmacher in der Evolution sein kann. Es gibt ferner so etwas wie Heimatprägungen. A.T. SCHOLZ und Mitarbeiter (1976) wiesen experimentell nach, daß Lachse auf den Geruch ihrer Heimatgewässer geprägt sind (S. 524).
Außer dem Beispiel der Zebrafinken (Estrildidae), weist Senglaub in seiner einführenden Schrift zu verschiedenen Evolutionsfragen (1982, pp. 172/173) auf die Prägung beim Polymorphismus der Schneegänse (Anser caerulescens) hin. Es handelt sich hier um eine weißgefiederte und eine bläulich dunkelgraue Form der Schneegans (Weißgans und Blaugans; Heimat: Ostkanada), deren Verhalten Senglaub sehr anschaulich wie folgt beschreibt:
In der Natur bedingt die Prägung, daß im fortpflanzungsfähigen Alter Partner den Vorzug haben, die wie die Mutter aussehen. Das weiße Kleid wird rezessiv vererbt. Die Kinder von einem Weißganspaar verpaaren sich also bevorzugt mit einer Weißgans. Entsprechendes gilt für die Kinder eines Blauganspaares. Die blaue Gefiederfarbe vererbt sich dominant: demzufolge besteht der Nachwuchs eines gemischten Paares aus bläulichgefiederten Jungen, die eine Weißgans zur Mutter haben können und sich deshalb sehr wahrscheinlich mit einem im Erscheinungsbild weißen Partner verpaaren. Mit diesen Umständen muß es zusammenhängen, daß zahlreiche reinweiße Brutkolonien existieren, aber keine einzige ausschließlich aus Blaugänsen besteht.
Trotz der durch Prägung bedingten Isolation zwischen den Brutkolonien von Weiß- und Blaugans, sind die beiden Formen nicht in den Rang von eigenen Arten erhoben worden. Wir wollen diesen Punkt hier hervorheben, weil in anderen, aber ähnlich gelagerten Fällen, eine andere Entscheidung getroffen worden ist.
Im Anschluss an Eibl-Eibesfeldts Hinweis auf 'prägungsähnliche Fixierungen auf die Nahrungsauswahl und auf Wirtspflanzen' sei erwähnt, dass bestimmtes tierisches Verhalten auch ein Isolationsfaktor für Pflanzen sein kann. Heß schreibt 1983, p. 415 über das Verhalten von Bestäubern:
In der Regel sind es bestimmte Duftstoffe oder Farben, auf die der Bestäuber anspricht - oder auch nicht. Aber auch die Umrisse der Blüte können eine Rolle spielen.
Bei verschiedenen Arten gibt es Rassen, die sich von der Normalform durch Färbung oder Duft ihrer Blüten unterscheiden. Die Bestäuber können sich auf solche Rassen einspielen und sie bevorzugen. Aber auch zwischen nahe verwandten Arten gibt es eine ethologische Isolation. Auf die Ophrys-Arten z.B. werden die Insektenmännchen aus der Ferne durch den Duft aufmerksam gemacht. Nur wenn dem Insektenmännchen durch den Blütenduft einer bestimmten Ragwurz das Vorhandensein eines artgleichen Weibchens vorgegaukelt wird, sucht es nach der Duftquelle. Sonst fliegt es weiter. Zunächst bestimmt also der Duft das Verhalten der Insektenmännchen. Die einzelnen Ophrys-Arten sind also prima durch ihren artspezifisch verschiedenen Blütenduft voneinander ethologisch isoliert. Erst mit der Annäherung des Insektenmännchens an die Blüte kommen dann andere Kriterien, auch solche morphologischer und damit mechanischer Art ins Spiel.
Wir haben damit die Hauptpunkte der ethologischen Isolation zitiert und wollen uns jetzt einige Beispiele zum Artbegriff und zur Artbildung in Verbindung mit dieser Isolation näher ansehen.