Ein paar Anmerkungen zum Gebrauch der Begriffe Neodarwinismus und Synthetische Evolutionstheorie
Da der folgende Einwand auch von Herrn Kutschera und weiteren zeitgenössischen Evolutionstheoretikern
erhoben wird, gebe ich an dieser Stelle einen
Auszug aus dem Schlussteil des ARTBEGRIFFs-Kapitels NEODARWINISMUS UND TRANSPOSONS wieder.
Die folgenden Aussagen beziehen sich auf das Symposium NEODARWINISTISCHE ODER KYBERNETISCHE EVOLUTION? (Heidelberg 1987) Sie
haben jedoch auch generelle Gültigkeit:
"Höchst befremdend muss für den Kenner des
ganzen Fragenkomplexes auch die von Neodarwinisten immer wieder
vorgetragene Polemik gegen den Begriff "Neodarwinismus" als Synonym
für die Synthetische Evolutionstheorie gewesen sein. Ein Blick in die
neuere biologische Literatur lässt keinen Zweifel, dass die Begriffe
Neodarwinismus und Synthetische Evolutionstheorie sowohl von
Neodarwinisten als auch von deren Gegnern (und gleicherweise von neutralen
Beobachtern) synonym gebraucht werden und dass dabei keinerlei
Verständnisschwierigkeiten auftreten. Dazu einige Beispiele von
Neodarwinisten (unterschiedliche Schreibweise des Wortes
Neodarwinismus von den Verfassern): H.L. Carson (1987): The genetic system, the deme, and
the origin of species. Annu. Rev. Genet. 21, 405 -
423. Z.B. p. 407: "...neo-Darwinism is indeed a robust
science." (Vgl. auch p. 406.) E. Nevo (1986): Beitrag zu S. Karlin und E. Nevo
(eds.): Evolutionary Processes and Theory. Orlando. P. 462: "...the
evidence presented at all levels... strongly supports the basic
neo-Darwinian concepts." M.K. Hecht und A. Hoffman (1986): Why not
neo-Darwinism? (Kapitelüberschrift in Annuals from
Oxford. Eds. R. Dawkins und M. Ridley; Vol. 3 ) NATURE 327, p. 545 (1987) zu Dawkins Buch "The
blind watchmaker": "Dawkins book, a popular exposition of
neo-darwinism, follows The Selfish Gene (1976) and The Extended
Phenotype (1981)." J. Maynard Smith (1987): Darwinism stays
unpunctured. Nature 330, 516: "..my own view...is that we can
forget about new paradigms and the death of neodarwinism." P.S. Moorhead und M.M. Kaplan (1986): Mathematical
challenges to the neo-Darwinian interpretation of
evolution. Philadelphia. 2. Aufl. (Mit mehreren Beiträgen von
Neodarwinisten, u.a. E. Mayr.) B. Charlesworth und R. Lande (1982): Morphological
stasis and developmental constraint: no problems for
neo-Darwinism. Nature 294, 214 - 215 P. Kitcher (1988): The importance of being
Ernst (Buchbesprechung, Nature 333, 25): "What Mayr has to offer
here...is nothing less than a vision of biology that places
neodarwinian evolutionary theory firmly at the centre." Mir erschien die von Neodarwinisten gegen das
Wort Neodarwinismus gerichtete völlig ungerechtfertigte
Polemik als Versuch einer Vernebelungstaktik der zur Diskussion stehenden
Probleme. Mehr hat man eben nicht zu bieten! [Man könnte nun mit einigem Zeitaufwand die
Dokumentation für die letzten Jahre fortführen. William A. Dembski
hat sich in seinen Buch THE DESIGN REVOLUTION (2004) in ähnlicher
Weise auch mit dem Begriff "Darwinismus" befasst, der von
führenden Vertretern des Neodarwinismus ebenfalls synonym
für die heutige Version der Synthetischen Evolutionstheorie gebraucht wird.] Dieser Streit um Worte ist übrigens nicht neu. In
meiner Ersten Staatsexamensarbeit habe ich mich mit dieser Frage wie folgt
auseinandergesetzt (1971, pp. 12/13 im Anschluss an die Frage nach den
Erklärungsprinzipien des Neodarwinismus): Er (Mayr) schreibt (1963, 1970, p. 1), nachdem er
darauf hingewiesen hat, dass viele der früheren Evolutionstheorien
nur mit einem Faktor operierten, über die neue Theorie: In essence it is a two-factor theory, considering the
diversity and harmonious adaptation of the organic world as the result of
a steady production of variation and the selective effects of the
environment. It is thus basically a synthesis of mutationism and
environment. Warum angesichts einer solchen Definition die
Bezeichnung "Neodarwinismus" unpassend sein sollte, bleibt
unverständlich, zumal Mayr noch auf folgendes hinweist: To be sure, the current theory of evolution...owes more
to Darwin than any other evolutionist and is built around Darwin's
essential concepts. An dieser Tatsache ändert sich nichts, wenn er
fortfährt: Yet it incorporates much that is distinctly
post-Darwinian. The concepts of mutation, variation, inheritance,
isolation, and species were still rather nebulous in Darwin's day. To
avoid confusion, it has been suggested particularly by Simpson (1949,
1960b) that the term "neo-Darwinism", originally introduced into biology
for Weismann's concepts of evolution, should be dropped. Würde man eine solche Argumentation akzeptieren,
dann müsste z.B. auch die hier gebrauchte Bezeichnung
"Mutation" fallen gelassen werden; denn der neodarwinistische
Mutationsbegriff hat mit der ursprünglich von DeVries gebrauchten
Bedeutung weniger gemeinsam als der Darwinismus Weismanns mit dem
(heutigen) Neodarwinismus. Dieses "to avoid confusion" ist übrigens
rein fiktiv. Mir ist in meinen sich über Jahre erstreckenden
Diskussionen zu diesem Thema noch niemand begegnet, der durch diesen
Begriff verwirrt worden ist. Wir können ihn also mit voller
Berechtigung weiter gebrauchen. Portmann bemerkt über den Begriff
"Synthetische Evolutionstheorie" (1970, pp. 176, 177): Ich habe das Wort nicht gern, denn ich kenne keine
Theorien, die nicht synthetisch sind, aber darüber wollen wir
vielleicht nicht rechten. So geht dieser Streit um Worte nun schon seit einigen
Jahrzehnten. Ich gebrauche in der vorliegenden Arbeit beide Begriffe, und
zwar durchweg synonym. Die Kritik von Seiten der Synthetischen
Evolutionstheorie an der Kybernetischen erscheint mir jedoch
berechtigt. Dem Kommentar von Prof. M. (Zoologe aus Heidelberg, brieflich
vom 12.8.87) ist kaum etwas hinzuzufügen: "Er (Schmidt) bietet keinen einzigen experimentellen
Befund, nicht einmal eine Arbeitshypothese - wie Gene ohne jede Matrize völlig de novo
synthetisiert werden könnten, - wie der Organismus überhaupt erkennen soll,
welche Nukleotidsequenzen neu gemacht oder gezielt verändert werden
sollten, damit nach einer langen Kette von Entwicklungsprozessen
zweckmäßig ausgestattete Zellen zweckmäßig
modifizierte Organe hervorbringen oder zweckmäßig neue
nervöse Verschaltungen herstellen, die dann ein zweckmäßig
verändertes Verhalten bedingen, - wie denn die neu synthetisierten Gene gezielt und
passend ins Genom der Eizelle eingesetzt werden könnten." [Diese Einwände treffen z.T. auch auf den Neodarwinismus zu.]
Wenn auch die Kybernetische Evolutionstheorie ebensowenig eine kausale Erklärung
vorlegen kann wie die Synthetische im Bereich der Makroevolution (vgl. oben Kühn),
so bleibt es doch das Verdienst Schmidts, einen wertvollen Beitrag zur Relativierung des
Allerklärungsanspruchs der herrschenden Theorie geleistet zu
haben."