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VIII. NACHTRÄGE

 

1. ZUM MORPHOLOGISCHEN ARTBEGRIFF

Zur weiteren Diskussion möchte ich im Folgenden eine Passage zitieren aus: Thomas Borgmeier (1955): DIE WANDERAMEISEN DER NEOTROPISCHEN REGION. EINE TAXONOMISCH-BIOLOGISCHE STUDIE NEBST BEMERKUNGEN ÜBER GRUNDFRAGEN DER SYSTEMATIK (Studia Entomologica, Nr. 3, ca. 700 pp., hier die Wiedergabe der pp. 29-40)

 

d) DAS WESEN DER SYSTEMATISCHEN KATEGORIEN

Alle systematischen Kategorien (Stamm, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art) sind von den Individuen abstrahierte Allgemeinbegriffe. Als Begriffe existieren sie nur im menschlichen Geiste, aber in der Natur finden wir das Fundament für diese Begriffe. Es sind "entia rationis cum fundamento in re", wie die Alten sagen. Die Kategorien sind also nicht konkrete Dinge, wie Nägeli und Heincke behaupten. Ebensowenig sind sie rein subjektive Fiktionen, die wir in die Natur hineintragen, wie andere (Zimmermann, Mertens, Dürken) meinen. Es geht auch nicht an, zu sagen, die "Arten" seien Realitäten, die höheren Kategorien aber reine Abstraktionen, wie Mayr will. "Wirkliche Realität, greifbare Dinglichkeit, sinnliche Wahrnehmbarkeit haben einzig und allein die Individuen. Ein einzelnes Individuum trägt und verkörpert aber niemals das vollständige Artbild" (Schindewolf 1950 p. 437).

Man kann sich das Wesen der Kategorien leicht klarmachen, wenn man von den vom Menschen hergestellten Gebrauchsgegenständen ausgeht. Im täglichen Leben sind solche Allgemeinbegriffe wie "Stuhl", "Tisch", "Schrank" ohne weiteres verständlich. Wenn ich von "Stuhl" spreche, meine ich nicht diesen oder jenen individuellen Stuhl, sondern das, was allen Stühlen gemeinsam ist, den Begriff "Stuhl". Dieser Begriff ist keine arbiträre Fiktion. Ebensowenig ist er etwas Reelles in dem Sinne, wie die Individuen reell sind. Er ist ein Allgemeinbegriff oder eine Abstraktion "cum fundamento in re". Dasselbe gilt von dem Gruppenbegriff "Möbel", durch den ich die "Art"-Begriffe "Stuhl", "Tisch", "Schrank" zusammenfassen kann.

Auch in der Natur gibt es objektbezogene Unterscheidungsmöglichkeiten, "Gruppenbildungen verschiedenen Ranges und Umfanges, und das sind objektive Gegebenheiten, die unsern Kategorien, gleich welche Bezeichnungen sie tragen, zugrunde liegen" (Schindewolf 1950 p. 441). Der Systematiker kann also nicht rein arbiträr verfahren wie der Astronom, der verschiedene Sterne in einem Sternbild zusammenfasst. Der Systematiker muss sich an die in der Natur vorhandenen Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten halten. Der realistisch denkende Systematiker ist überzeugt, dass es in der Natur eine Wirklichkeit zu erforschen gilt, und diese Wirklichkeit sucht er in Begriffen zu kondensieren, die "toto et solo definito" zukommen.

Nehmen wir den Gruppenbegriff "Ameise". Ob wir ihn "Formicidae" nennen oder "Formicoidea", d.h. ob wir die Gruppe als Familie oder Überfamilie bewerten, ist ohne Bedeutung. Wichtig ist nur, dass dieser Gruppenbegriff in der Natur begründet ist. Die Abgrenzung dieses Begriffs ist nicht Sache der Konvention. Der Umfang dieses Begriffs ist unveränderlich und steht für alle Zeiten fest. Der Begriff ist aus der Natur abgelesen. Wirklichkeit und gedankliche Durchdringung, Objekt und Idee sind zur Deckung gekommen. Es wäre lächerlich, einen solch objektiv begründeten Begriff eine Fiktion des menschlichen Geistes zu nennen. Was man unter "Ameise" versteht, ist für alle Zeiten klargestellt. -

Dass es in der zoologischen Normenklatur arbiträre Gruppenbegriffe gibt, soll nicht in Abrede gestellt werden. Aber dann ist der Systematiker arbiträr, nicht aber die Natur. In der Natur herrscht Ordnung; in der Nomenklatur finden wir leider oft ein Chaos.

Was vom Familienbegriff gilt, gilt auch vom Gattungsbegriff. Er ist eine Abstraktion "cum fundamento in re". Er ist also keineswegs eine rein subjektive Fiktion oder ein "künstlicher Begriff", wie Mayr (1949 p. 29 ) meint, sondern er drückt objektive Gegebenheiten aus. Ob eine Gattung groß oder klein ist, ob sie viele oder nur wenige Arten umfasst, hängt letzten Endes nicht von dem subjektiven Urteil des Taxonomen ab. Unabhängig von jeder phylogenetischen Spekulation hat der Systematiker die Aufgabe, durch sorgfältigen morphologischen Vergleich der Arten die generischen Gruppenbildungen zu erkennen und eindeutig zu definieren. Dass es in der Natur generische Gruppenbildungen gibt, die durch scharfe Einschnitte voneinander getrennt sind, das bestätigt eine tausendfache Erfahrung. Die subjektive Beurteilung der Grenzen einer Gattung ist natürlich Schwankungen unterworfen, die z.T. von der Begabung oder Erfahrung des Taxonomen, z.T. auch von dem Grad der Erforschung der betreffenden Gruppe abhängen. "Concepts of genera change with increased knowledge of individual species" (Weld 1952 p. 345). Aber der subjektiven Bewertung der Gatttungscharaktere sind objektive Schranken gezogen durch die in der Natur gegebenen Tatsachen. Diese Schwankungen müssen einmal zu definitivem Stillstand kommen, was dann der Fall sein wird, wenn alle Tatsachen bekannt und objektiv gewertet worden sind. Wenn dieses dem Systematiker als Ideal vorschwebende Ziel einer rationellen Durchdringung der Wirklichkeit nicht erreichbar wäre, hätte alle Systematik überhaupt keinen Sinn. Die Schwierigkeit der Aufgabe bildet den Reiz und die Spannung systematischer Forschung. Was Spemann von der experimentellen Untersuchung sagt, gilt auch vom morphologischen Vergleich: "Bei jeder wissenschaftlichen Untersuchung führe ich Zwiesprache mit der Natur, und ich lerne aus dieser Zwiesprache, um wieviel klüger die befragte Natur ist als der fragende Naturforscher" (zitiert bei Zimmermann 1948 p. 27).

Was der Forscher in der Natur vorfindet, ist eine abgestufte Formenmannigfaltigkeit. Das ermöglicht den hierarchischen Aufbau des Systems, der in den systematischen Kategorien seinen Ausdruck findet. Diese stehen in einem bestimmten Subordinationsverhältnis. Die höheren Kategorien umfassen solche von niedrigerem Rang bis hinab zu den Arten. Es sind die niederen in die höheren gleichsam eingeschachtelt. Troll (1949 p. 13) hat deshalb von einer "enkaptischen Struktur" des Systems gesprochen. Jede Kategorie stellt eine Idee oder einen Typus dar, aber diese Idee ist in den Tatsachen begründet, vorausgesetzt, dass sie "natürlich" und nicht "künstlich" gebildet ist. Der Systematiker ist deshalb Idealist und Realist zugleich. Vergleichende Morphologie ist sowohl "idealistische" Morphologie wie empirische Forschung. Alle Forschung aber beginnt mit dem Individuum. Die reine Formidee, der reine Typus existiert nirgends in der Natur. Es gibt z.B. keine Ameise, welche lediglich die allgemeinen Baumerkmale der Familie vorweisen würde. Aber "jedes Individuum verwirklicht die übereinander geschichteten bzw. einander durchdringenden Merkmalskomplexe der Gesamthierarchie von Typen, denen es angehört. Es verkörpert also zugleich den Typus seiner Art, seiner Gattung Familie, Ordnung usw., und es ist eine Sache vergleichend abstrahierender Betrachtung, diese Typenmerkmale verschiedener Größenordnung und Reichweite herauszuschälen und voneinander zu sondern" (Schindewolf 1950 p. 24).

 

e) DIE ART ALS FUNDAMENTALEINHEIT DES SYSTEMS

Der Artbegriff als Zusammenfassung wesensgleicher Individuen bildet die eigentliche Fundamentaleinheit des Systems. Jedes Tier gehört eindeutig zu einer bestimmten Art. Die ganze organische Natur ist spezifisch konstituiert; das gilt sowohl für die rezenten, wie für die fossilen Organismen. Diese Tatsache wird durch eine so erdrückende Anzahl von Beobachtungen gestützt, dass sie als Naturgesetz bezeichnet werden muss. Sie wird auch von überzeugten Evolutionisten zugegeben.

Der Genetiker Bateson schreibt (1894 p. 2): "The existence of specific differences is one of the characteristics of the forms of living things. This is no merely subjective conception, but an objective, tangible fact... So much is being said of the mutability of species that this, which is the central fact of Natural History (von mir kursiv), is almost lost sight of, but... this fact must be boldly faced. There is nothing to be gained by shirking or trying to forget it". Zwanzig Jahre später (1913 p. 12) äussert er denselben Gedanken: "Specificity is a universal attribute of organised life".

Ein anderer Genetiker, Dobzhansky, schreibt (1939 p. 217): "Eine einzige systematische Kategorie gibt es, die mit erstaunlicher Zähigkeit sämtlichen Nomenklaturänderungen widerstanden hat. Das ist die Kategorie der Art... Trotz allen Verfeinerungen der Untersuchungstechnik und trotz verschiedenem Geschmack und persönlicher Vorliebe herrscht im allgemeinen völlige Übereinstimmung darüber, welche Formen in einer Art zusammengefasst werden müssen".

Auf der 87. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte zu Leipzig 1922 machte der Paläontologe Johannes Walther folgende Erklärung, die nicht geringes Aufsehen erregte (1923 p. 153): "Als ich vor 40 Jahren meine biologische Lehrzeit in Jena abschloss, um mich fortan ganz der Erforschung des vorzeitlichen Lebens und seiner geologischen Umwelt zu widmen, trat ich an das geologische Tatsachenmaterial mit den Grundsätzen heran, die mein Lehrer Ernst Haeckel bis zuletzt so geistvoll verteidigt hat. Im Banne seiner Gedanken stehend, schien es mir eine leichte, lohnende Aufgabe, überall die beständig dahingleitenden Formenreihen zu verfolgen und ihre kausale Abhängigkeit von den Veränderungen der unbelebten Natur nachzuweisen. Aber während meiner Arbeit wurde ich schrittweise von jener so einfach erscheinenden Ansicht abgedrängt, und immer fester vertiefte sich in mir die Überzeugung, dass die Arten in der Vorzeit ebenso konstant waren, wie sie in der Gegenwart sind (von W. kursiv). Wie heute einzelne, sehr variierende Spezies mitten zwischen zahlreichen, seit Menschengedenken nicht variierenden "guten" Arten leben, so ist es immer gewesen. In jeder geologischen Periode hat es gewisse sehr variierende Formen gegeben, aber Sie sind ebenso ausgestorben wie ihre nicht mutierenden Lebensgenossen, und irgendein ursächlich historischer Zusammenhang zwischen Variation und Artbildung lässt sich in der geologischen Vergangenheit nicht auffinden".

Seit Darwins "Origin of Species" (1859) besteht unter den Biologen eine Tendenz, die fundamentale Bedeutung der Art anzuzweifeln und die Art aus ihrer zentralen Stellung zu verdrängen. Man betrachtet die Art als gesteigerte Variante, vergisst aber, dass der Begriff "Variation" inhaltslos ist, wenn nicht die spezifische Bestimmung vorher eindeutig festliegt. Schon Agassiz fragte deshalb: "Wenn es keine Arten gibt, wie können sie variieren?" Und Bateson sagt: "The belief that living beings are plastic conglomerates of miscellaneous attributes... is a fancy which the Study of Variation does not support" (1893 p. 80). Nilsson schreibt in seinem neuen Werk "Synthetische Artbildung" (1953 p. 252): "Für Darwin war die ganze Evolution ein graduelles Problem... Alles floss. Es war also leicht, über die Speciesgrenzen hinwegzukommen. Mit unseren Erfahrungen von der Struktur der Species liegt hier die fundamentale Schwierigkeit. Sie ist unüberwindlich. Denn die Species ist nicht aus erblich verschiebbaren Pangenen aufgebaut, sondern aus erbfesten Genen... Die Species ist konstant".

Was der gewissenhafte und verantwortungsbewusste Systematiker in der Natur vorfindet, sind keine fließenden Übergänge, sondern getrennte und wohl unterscheidbare Arten. "Auch das Vorhandensein mehr oder weniger zahlreicher Mutationen, Rassen, Unterarten und dergleichen innerhalb der Arten ändert an der Tatsache nichts, dass die bei kontinuierlichem Wandel zu fordernden, fließenden Übergänge nicht vorgefunden werden. Die lebende und fossile Organismenwelt ist nicht ein Kontinuum, sondern ein Diskontinuum" (Bertalanffy 1949 p. 95). Alle Arten, sowohl die monomorphen als auch die pleomorphen, sind von ihren Verwandten durch scharfe Grenzen getrennt. "C'est un fait incontestable que toutes les espèces animales et végétales se separent les unes des autres par des caractères absolues et tranchées" (Godron 1872 p. 372). Deshalb fordert Woltereck (1931 p. 280): "Der alte Begriff der echten Art als einer spezifischen Wesenheit (Entität), der sich in Elementararten, Biotypen usw. aufzulösen drohte, muss wieder die zentrale Stellung einnehmen, die ihm von den Systematikern und Spezialisten von jeher verliehen wurde".

Mayr (1949 p. 103) findet es "paradox, dass so viele Taxonomen auch heute noch einem strikt statischen Artbegriff huldigen, obschon sie offen die Existenz der Evolution zugeben". Darauf kann man erwidern, dass dieser statische Artbegriff dem Systematiker durch die Tatsachen aufgezwungen wird. Von "dynamischem Artbegriff" kann man nur in dem Sinne reden, als gewisse Arten rassenbildend sind, aber die Rassenbildung ist streng spezifisch gebunden, und jeder "Rassenkreis" ist nichts anders als eine pleomorphe Art, die von jeder anderen Art scharf getrennt ist. Das wird von Mayr selbst zugegeben, wenn er von Kleinschmidt und Goldschmidt sagt (p. 114): "They claim that all evidence for intergradation between species which was quoted in the past was actually based on cases of infraspecific variation, and, in all honesty it must be admitted that this claim is largely justified". Ich frage: weshalb verschwendet dann Mayr die ersten 100 Seiten seines Buches, um das Gegenteil zu beweisen?

Bei den rassenbildenden Eciton-Arten, z.B. mexicanum, burchelli, vagans sind die spezifischen Charaktere innerhalb des ungeheuren Verbreitungsgebietes von Argentinien bis Mexiko absolut konstant, und jedes Individuum (ob Arbeiter, Weibchen oder Männchen) irgend einer Rasse dieser drei Arten aus dem ganzen Verbreitungsareal lässt keinerlei Zweifel über die betreffende Artzugehörigkeit. Noch auffallender ist diese Konstanz, wenn es sich um weltweite Verbreitung monomorpher, d.h. nicht rassenbildender Arten handelt bei den polytropikalen Phoriden-Arten Diploneura cornuta Bigot und Megaselia scalaris Loew sind Exemplare verschiedener Kontinente in keiner Weise unterscheidbar. Dasselbe gilt von Musca domestica L. Bei Pflanzen machte Allan dieselbe Erfahrung (1940 p. 515): "Capsella bursa-pastoris Medic. travels the world over, may drop certain forms here and there, but does not change into something else". Schilder, wie Mayr Vertreter konfuser Methoden, meint allerdings in seiner "Biotaxonomie" (1952 p. 21): "Man muss allen Angaben über "weltweite" Verbreitung von wirklich einheitlichen Formen... skeptisch gegenüber stehen" - Wir wissen, woher diese Skepsis stammt: aus der vorgefassten Meinung, dass alle Arten mit weiter Verbreitung geographische Rassen bilden müssen. Man sieht deutlich die Tendenz, Tatsachen zu vergewaltigen um eine Idee zu retten!

Es wird immer wieder von neuem behauptet, eine allgemein gültige Definition der Art sei bis heute nicht gefunden. Ich halte das für einen Irrtum. Es gibt eine ganze Reihe guter Definitioiien, welche sowohl das genetische wie das morphologische Element berücksichtigen. Eine der besten ist die von Cuvier (1829) aufgestellte; eine der schlechtesten die von dem Phylogenetiker Zimmermann (1948 p. 194). Letztere lautet: "Gruppe von Organismen, die so ähnlich sind, dass man sie bei flüchtiger Beobachtung für "gleichartig" hält, d.h. dass man sie verwechseln kann, oder dass man doch eine weitgehend übereinstimmende Erbstruktur annimmt". Zimmermann (1937 p. 991) hält es für "Sache der Konvention, wo man die Grenzen zwischen den Arten zieht". Auch nach Dürken (1924 p. 46) wird "der Artbegriff erst vom Menschen in die Natur hineingetragen... Es gibt keine natürliche Artgrenze". Dem gegenüber halte ich auf Grund meiner taxonomischen Erfahrung daran fest, dass die Art ein Wesens- und Ganzheitsbegriff ist, der auf objektiven Gegebenheiten beruht. Nehmen wir z.B. die 6 Eciton-Arten, von denen alle Kasten bekannt sind und die deshalb als geklärt betrachtet werden können. Über ihre spezifische Verschiedenheit kann keinerlei Zweifel bestehen. Die Begriffe, die der Systematiker mit Eciton burchelli, quadriglume, dulcius, vagans, mexicanum, hamatum verbindet, stehen für alle Zeiten fest und sind absolut bindend. Arbiträre Begriffe können nie allgemeine Anerkennung erzwingen. Meglitsch sagt (1954 p. 53) : "The systematist may be arbitrary, the species is not".

Der biologische Artbegriff ist keine Erfindung der "Neuen Systematik". Es hat überhaupt nie einen anderen Artbegriff gegeben. Auch Linné hat ihn gekannt und benützt. Cuvier, ein Vertreter des "Linnaeismus", definiert die Art (1829 p. 16): "la réunion des individus descendus l'un de l'autre ou de parents communs, et de ceux qui leur ressemblent autant qu'ils se ressemblent entre eux". Man sieht, die "Neue Systematik" ist schon ziemlich alt! Von einer "revolutionären Änderung des Artbegriffs", von der Mayr (1949 p. 102) spricht, kann keine Rede sein. Meglitsch betont denselben Gedanken (1954 p. 52): "The classical systematist developed a system of classification upon the phenotypic, and especially upon the morphological, attributes, but while so doing they comprehended the species as an assemblage which is linked together genetically in some way or another... The modern systematist, therefore, has not introduced a radically new element into the philosophy of systematics". Selbst Hennig (1950 p. 149) gibt zu, "dass es eine Systematik, in der nicht typologische und genetische Prinzipien in der innigsten Weise miteinander verknüpft gewesen wären, bisher noch niemals gegeben hat". (Über "Neue Systematik" vgl. auch die ausgezeichnete Studie von Toledo Piza, 1951).

Wenn ich frage: "Was ist Art?", so frage ich nach dem Allgemeinen, was allen Arten zukommt und was die Arten der Organismen von den Arten der anorganischen Natur (z.B. der Elemente) scheidet. Aber der Systematiker ist primär interessiert, zu wissen, was jeder Art im besondern zukommt; er fragt nach der Spezifizität, welche die einzelnen Arten voneinander scheidet. Und diese Frage kann nur an die Natur selbst gestellt werden, und in keinem Falle, wo methodische Beobachtung und gedankliche Durchdringung sich vereinen, wird die sichere Antwort ausbleiben. Es gibt keine taxonomischen Rätsel, was die Artenfrage angeht. Mit allgemeinen Definitionen, die man an die Natur heranträgt, macht man keine Systematik.

Man spricht heute viel von Populationssystematik, gibt aber zu, dass der Begriff "Population" nicht klar definierbar sei. Mayr (1949 p. 24) nimmt seine Zuflucht zu Webster's Lexikon! Dem Myrmekologen stehen einheitliche Populationen in jedem Ameisennest zur Verfügung. Sie erleichtern die Kenntnis der Polymorphismen, d.h. des phänotypischen Komplexes, der zu einer Art gehört. Aber dass dadurch die "spezifischen Merkmale bei Ameisen so klar und leicht erkennbar sind", wie Creighton (1950 p. 12) meint, ist eine kindliche Illusion. "Population" ist ein taxonomisch inhaltsloser Begriff, solange die Art nicht bekannt ist, zu der sie gehört. Arten können aber praktisch nur erkannt werden durch morphologischen Vergleich mehrerer Arten derselben Gruppe, und dieser Vergleich geht immer über das Individuum. Das Individuum ist das "primäre Forschungsobjekt" (Remane 1952 p. 3) des Taxonomen. Auch bei Untersuchung von Serien kann es nicht "ausgeschaltet" werden, wie Rensch (1934 p. 15) fordert, denn jede Serie setzt sich bekanntlich aus Individuuen zusammen. Auch in der botanischen Systematik fängt man an, von "dynamischen Populationen" zu reden und das Herbarium zu verachten. Rollins (1953 p. 183) bedauert diese Tendenz ("the tendency to deprecate specimens") und weist darauf hin, dass auch das Studium der Variation auf Einzelexemplaren beruht.

Es gibt zudem unzählige Fälle, in denen ein einziges Exemplar so charakteristische Merkmale zeigt, dass seine Beschreibung einen wirklichen Fortschritt der systematischen Forschung und eine Bereicherung des Systems bedeutet. Reichensperger beschrieb vor Jahren (1924) eine neue ecitophile Histeriden-Gattung und -Art, Synetister pilosus, nach einem Exemplar. Die Art wurde 24 Jahre später wiedergefunden, war aber schon in der Originalbeschreibung hinreichend charakterisiert. Brown (1948) beschrieb eine winzige Ameise von Neu Caledonien, Discothyrea remingtoni, nach einem Holotypus. Wie die beigegebene Abbildung zeigt, ist die Art so charakteristisch, dass ihre Wiedererkennung keinerlei Schwierigkeit bereiten dürfte. Auch bei den Ecitoninen sind verschiedene Arten nur nach Einzelexemplaren bekannt, z.B. Labidus auropubens, Neivamyrmex inca, N. maxillosus, N. physognathus, N. cratensis, N. carinifrons, N. pulchellus, N. imbellis, N. planidens, N. cloosae. Ich bin überzeugt, dass nach den von mir gegebenen Beschreibungen und Abbildungen alle diese Formen glatt erkennbar sind, und dass ihre Unterdrückung oder Nichtbeschreibung eine empfindliche Lücke in unserer Kenntnis der Ecitoninen zur Folge haben würde.

Die sogenannten Populations-Systematiker verwenden bekanntlich ausschließlich den genetischen Artbegriff und machen viel Aufhebens von Kopulationsbereitschaft artgleicher, und Kopulationsabneigung artfremder Populationen. "Dieses Kriterium hat in der reinen Systematik nichts zu suchen" (Schindewolf 1950 p. 442). Gleiche Abstammung und Fortpflanzung ist ein theoretisches Postulat, aber kein allgemeines Kriterium zur Artbestimmung. Experimente über Kreuzungsfähigkeit sind nur in seltenen Fällen möglich, und ohne vergleichende Morphologie kommen auch die Populations-Systematiker nicht aus, wie selbst Mayr zugeben muss (1949 p. 121). Der morphologische Vergleich ist und bleibt das Rückgrat jeder taxonomischen Forschung.

Auch die geographischen Faktoren sind in der Artsystematik als Definitionsmomente abzulehnen. Die Art ist nicht geographisch bedingt (Kuhn). Ob zwei Arten "sympatrisch" oder "allopatrisch" sind, ist für ihre Unterscheidung völlig gleichgültig. Die Frage mag den Evolutionstheoretiker interessieren, aber für den Systematiker hat sie nur sekundäres Interesse. "Das System kann sich nur auf das gründen, was die Organismen selbst sind und an Merkmalen zeigen. Es muss uns in die Lage setzen, die Formen auch ohne Kenntnis ihrer Herkunft und räumlichen Verbreitung zu erkennen und benennen. Wir müssen die Organismen zunächst bestimmen können, um danach ihre geographische Verbreitung festzulegen" (Schindewolf 1950 p. 463).

Man hat behauptet, dass bei schwierigen Gattungen die vergleichend-morphologische Methode zur Erkennung der Arten nicht ausreiche. Zu dieser Frage nimmt der Botaniker Rollins, Direktor des Gray Herbariums an der Harvard Universität, in einem sehr lesenswerten Artikel Stellung, der in der Zeitschrift "Systematic Zoology", in der leider mehr von Evolution als von Systematik die Rede ist, erschien (1953 p. 180-190). Er geht von der Tatsache aus, dass in jeder Gattung Arten vorhanden sind, die leicht unterscheidbar sind. "I do not know of a single genus in which such species may not be found". Das genaue Studium dieser Arten lehrt, dass sie alle durch eine Mehrheit von Charakteren verschieden sind. "Unus character character nullus", sagten die Alten. Die als wertvoll erkannten Merkmale bilden dann den "Species-Standard" und liefern den Schlüssel zur Differenzierung der schwierigen Arten derselben Gruppe. Bei der Gattung Arabis gelangte Rollins mit dieser Methode zu sicheren Resultaten, und er fügt hinzu: "I believe that the method would even permit agreement as to the numbers of species in Rubus or Crategus in eastern North America". Diese Methode ist nichts anders als die vergleichend-morphologische, von der oben die Rede war. Sie wird bewusst oder unbewusst von jedem Revisor ausgeübt, der der Sache auf den Grund geht und sich nicht mit Kompilationen begnügt. Von den Ideen eines Rensch oder Mayr ist sie allerdings "radikal verschieden" (Rollins).

Wie viele Arten sollen beschrieben werden? Ich antworte: genau so viele, wie in der Natur vorhanden sind, nicht mehr und nicht weniger. Ornithologen sprechen vielfach von Verringerung der Arten und Vereinfachung des Systems. Wenn damit Arten eliminiert werden, die keine sind, ist diese Tendenz nur zu begrüßen. Dass in der Ornithologie an solchen "Arten" kein Mangel war, lehrt die Geschichte. Aber wenn man so weit geht, dass man die Beschreibung wirklich neuer Arten lächerlich macht und Revisionen oder Monographien fordert, wo nicht die geringste Möglichkeit dazu gegeben ist, dann hindert man die Freiheit der Forschung und vergisst, dass die Hauptaufgabe des Systematikers darin besteht, die Arten der Natur bekannt zu machen. Man versteht deshalb nicht, dass Horn (1929c p. 59) die merkwürdige Ansicht vertreten hat: "Die Systematiker sollten sich klar sein, dass die größtmöglichste Einschränkung der Species-Zahl dringendste Voraussetzung ist, wenn wir paar Entomologen nicht für die Zukunft jede Möglichkeit einer Übersicht verlieren wollen". Ich frage: Wo soll man da die Grenze ziehen? Fiedler handelt in seiner Monographie der südamerikanischen Arten der Gattung Conotrachelus (Col. Curc.) von 547 Arten, von denen er 404 als neu beschreibt. Marshall, ein Kenner der Gruppe, schätzt die wirkliche Artenzahl dieser Gattung auf 2000! Nach meiner Meinung wäre es widersinnig, dem Taxonomen da eine andere Beschränkung aufzulegen als die, welche in der Natur selbst gegeben ist. Dass bei Neubeschreibungen moderne Maßstäbe angelegt werden müssen, ist selbstverständlich. Wissenschaftliche Systematik hat mit oberflächlicher Namengeberei nichts zu tun.

Schindewolf (1950 p. 433) spricht ironisch von "rein naiven Einzelbeschreibungen, die ohne alle Zielsetzung und ohne Einordnung in einen größeren Rahmen nur rohe, isolierte Bausteine liefern. Sie stellen einen Rückfall in eine überwundene Forschungsepoche dar". Ich halte das für übertrieben. Jede Artbeschreibung erfordert die Einordnung ins System, und Bausteine sind immerhin Bausteine. Schindewolf zieht sein Urteil auch sofort zurtieck, indem er hinzufügt: "Damit soll natürlich kein absprechendes Urteil über die reine und möglichst vorurteilsfreie Beobachtung und Beschreibung überhaupt gefällt sein. Sie sind unerlässlich, und sofern sie sorgfältig durchgeführt sind, haben sie bleibenden Wert und längeren Bestand als alle oft so bestechenden, glitzernden Hypothesen, die darauf aufgebaut werden". Nach meiner Meinung sind Einzelbeschreibungen bei den heutigen Druckschwierigkeiten unvermeidlich.

Das Problem der Artbildung gehört nicht in die Systematik. Der Taxonom hat es nur mit der Feststellung und Ordnung der Arten zu tun. [Anmerkung W.-E.L.: Etwas weiterdenken darf er schon, auch bei der Frage nach der genetischen Kompatibilität von unterschiedlichen Populationen - siehe Artbegriff oben.] Und diese Aufgabe ist so schwierig, dass man zweifeln kann, ob er damit je zu Ende kommt. Mayrs Buch "Systematics and the Origin of Species" ist deshalb schon im Titel verfehlt. [Anmerkung W.-E.L.: Das halte ich nun für überzogen; Borgmeier stellt die Frage ja selbst und er beantwortet sie wie folgt:]

 

THOMAS BORGMEIER ZUR FRAGE DER ARTBILDUNG (p. 29):

Das Problem Artentstehung ist trotz gegenteiliger Behauptung experimentell nicht gelöst. Woltereck (1931 p. 300) stellt fest: "dass die experimentelle Genetik... über die Pleomorphie der Rassen und der vertretbaren Eigenschaften nicht hinausgekommen ist und vor dem Problem der Artbildung und Artenabstammung wie vor einer glatten Mauer haltmachen muss, trotz ihrer in der bisherigen Biologie unerhörten Erfolge und Fortschritte". Und er fährt fort: "Was ist das für eine Mauer, die zwischen den Ergebnissen unserer Versuche und dem, was durch diese Versuche letztlich geklärt werden soll, sich aufrichtet? Wir suchen nach dem Mechanismus der Artbildung und finden immer wieder und in immer klarerem Licht: das Phänomen der Variantenbildung. Weshalb nützen uns die analysierten Varianten nichts Entscheidendes für das Verständnis der Artbildung?... Weil Arten nicht gesteigerte und vervielfachte Varianten sind, wie man bisher meistens angenommen hat, sondern Naturdinge und Naturgesetzlichkeiten, die einer anderen Kategorie als die Varianten angehören. Ebensowenig wie man durch Summierung oder Steigerung phänotypischer Unterschiede eine einzige Gen-Änderung erzielen kann, ebensowenig scheint sich aus der Summierung und Steigerung vertretbarer (additiver) Rassenbesonderheiten jemals eine neue Konstitution, ein neues Artgepräge, ein neuer Typus ergeben zu können".


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