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ZWISCHENBEMERKUNG ZUM BEGRIFF DER GESCHWISTER- ODER ZWILLINGSARTEN

 

Ein großer Teil der oben besprochenen Beispiele fällt unter den Begriff der Geschwister- oder Zwillingsarten. Neuere Arbeiten vertreten vermehrt die Idee der Artbildung ohne größere morphologische Veränderungen. Eckhardt kommentiert 1986, p. 143, Larsons Beitrag NEONTOLOGICAL INFERENCES OF EVOLUTIONARY PATTERN AND PROCESS IN THE SALAMANDER FAMILY PLETHODONTIA:

... Among the many results produced by this painstakingly detailed study is the finding that most speciation events do not feature significant morphological change, and morphological stasis persists through time despite speciation events. Punctuationists please note.

Wie p. 43 zitiert, sollten nach Fincham zur Artabgrenzung morphologische Unterschiede zusammen mit der reproduktiven Isolation auftreten, - was bekanntlich bei den Zwillingsarten nicht der Fall ist. Genetische Ursachen (wie Epistasie durch Funktionsausfall von verschiedenen Enzymen bei verschiedenen Linien), chromosomale Veränderungen (wie Translokationen und unterschiedliche Chromosomenzahl) sowie Befall des Plasmas durch Mikroorganismen können - ohne nennenswerte Veränderungen des Phänotyps - zur reproduktiven Isolation führen (Details und ausführliche Diskussion vgl. pp. 121-162, 245 dieser Arbeit). Präzygotische Isolationsmechanismen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Abgesehen davon, dass diese Barrieren zum Teil reversibel sind (wie oben ausführlich dokumentiert), führt die konsequente Anwendung solcher Sterilitätsbarrieren als Arttrennungskriterien zu folgenden Schwierigkeiten:

  1. Verschiedene Linien ein- und derselben 'Art' zeigen unterschiedliche Fertilitätsgrade bei Kreuzung mit Linien einer anderen 'Art', wobei selbst gute Fertilitätsverhältnisse gefunden werden können.

  2. Reziproke Kreuzungen können völlig verschieden ausfallen (Linie A - weibl. X Linie B - männl.: steril; Linie A - männl. X Linie B - weibl.: fertil) vgl. p. 127.

  3. Die konsequente Durchführung führt zu einer uferlosen Verlängerung der Artenlisten, wobei ein großer Teil der Arten von keinem Systematiker auf unserer Erde mehr unterschieden werden kann.

Das heißt selbstverständlich nicht, dass die Unterscheidung von miteinander sterilen Linien etwa grundsätzlich überflüssig ist. In der Parasitologie beispielsweise kann die Bestimmung nah verwandter Rassen von großer Bedeutung sein wie etwa das Beispiel der 'Zwillingsrassen' bei den Moskitos zeigt. Statt aber Anopheles maculipennis in zahlreiche Arten aufzutrennen, würde die Aufführung von verschiedenen Rassen (mit einfacher alphabetischer Symbolkennzeichnung) völlig ausreichen.


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