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(3) F1 - STERILITÄT UND -LETALITÄT BEI KREUZUNG VERSCHIEDENER WEIZENSORTEN

Das Phänomen der Hybrid-Nekrose wird beim Weizen seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts intensiv bearbeitet (Caldwell und Compton 1938, 1943). Wiebe hat bei der Gerste im Prinzip das gleiche, aber hier noch stärker ausgeprägte Phänomen beschrieben (1934).

Hermsen definiert die Hybrid-Nekrose beim Weizen folgendermaßen (1963, p. 1):

Hybrid necrosis is the premature gradual death of leaves and leaf sheaths in certain wheat hybrids. It is based on two complementary genes Ne1 and Ne2.

... The degree of necrosis varies greatly, due to multiple allelism of Ne1 and Ne2.

... Grades 6 - 8 are called severe necrosis (no seed is produced), 3 - 6 moderate necrosis (premature seed), 0 - 3 weak necrosis (normal seed).

(p. 7:) Emergence and early growth of F1-plants with the genotype of necrosis are always normal. The first symptoms may appear in any growth stage of the plant from the 1 - 2 leave Stage onwards, dependent on the nature of the cross. ... first symptoms ... dull green or light spots (mottling) which become larger and larger ...

 

Abb.21: Final stage of 6 groups of plants with different necrosis grades. The grades 0 - 3 are taken together because of the absence of a visible depression. All plants are from Heines 476 x Koga (aus Hermsen 1963)

 

In unseren Rekombinationsquadraten sind wir bisher immer von der Wirkung rezessiver Gene ausgegangen. Jetzt haben wir es jedoch mit der Interaktion zweier dominanter Gene zu tun. Vogel und Motulsky schreiben 1979, p. 262, dass die Mechanismen für dominante Genmutationen wesentlich heterogener sind als für rezessive Merkmale (wobei Letztere - wie wir oben schon hervorgehoben haben - in der Regel auf dem Ausfall von Enzymwirkungen beruhen).

Die Autoren haben ihr Konzept für dominant-pathologische Genwirkungen am Menschen geschildert und meinen unter anderem:

It has been suggested that autosomal-dominant diseases in general are more likely to be caused by mutations affecting structural proteins (78). This concept has merit if one includes receptors and membranes as structural proteins although other mechanisms also apply. In many autosomal-dominant diseases, the basic mechanisms remain unknown.

 

Abb. 22: Diagrammatic structure of a polypeptide chain in normals and heterozygotes. a The individual is homozygous. It produces only normal polypeptides. b The individual is heterozygous. Normal and abnormal polypeptides are formed in equal amounts. The polypeptide chain cannot be properly assembled.

Aus Vogel und Motulsky 1979/1982 und 1986, p. 317 (Weitere Details bei Herskowitz, I. (1987): Functional inactivation of genes by dominant negative mutation. Nature 329, 219 - 222)

 

Die obige Abbildung soll veranschaulichen, wie eine dominante Genwirkung durch eine Genmutation entstehen kann. Aus mehreren Polypeptiden aufgebaute Strukturproteine werden auch bei Anwesenheit des voll funktionsfähigen Allels nicht mehr korrekt zusammengesetzt, weil die Produktion funktionsuntauglicher Bausteine im heterozygoten Zustand den Gesamtaufbau in den meisten Fällen stört.

Bei unserem Weizenbeispiel kann der Ausfall eines dieser Gene in einer Linie gerade noch verkraftet werden (Ne1 oder Ne2 ). Kommen in der F1 beide mutierten Gene zusammen, so wird - je nach der Kombination aus der Serie der verschiedenen Allele der beiden dominanten Gene (multiple Allelie) Entwicklung und Fertilität bis zur Letalität beeinträchtigt.

Zeven weist (1973, p. 618) darauf hin, dass das unter Weizenzüchtern immer aktueller werdende Problem der Hybrid-Nekrose von einigen Züchtern noch mit Hybrid-Chlorose und -Zwergwuchs verwechselt wird - womit wir an dieser Stelle hervorheben möchten, dass mehrere weitere Beispiele für Entwicklungsstörungen bis zur Letalität durch Gen-Interaktion in der F1 beim Weizen bekannt sind.

Welche Schwierigkeiten in der Praxis mit der pathologischen Wirkung der dominanten Ne-Gene verbunden sind, haben z.B. Pandey und Rao 1979 anhand ihrer verschiedenen Linien des Weizens (Triticum) wie folgt beschrieben:

Hybrid necrosis sometimes acts as a major barrier in bringing together desirable characters of two varieties. ... With a view to transfer rust resistance from T. aestivum to commercial Indian durum varieties, a back crossing programme was initiated. Five durum varieties ... were selected for this purpose; these are susceptable to one or the other of the three rusts. ... Two aestivum Lines ... were selected as donors of rust resistance.

All the five durum varieties were crossed with each of the two aestivum donors. During the following season all the 10 F1's were grown in the field. In the initial stage, seedlings were uniformely weak in all the ten crosses. They started yellowing and finally died at 4 - 6 leave stage showing the characteristic symptoms of severe necrosis of grade 8 as described by Hermsen (1963).

... The occurrence of grade 8 necrosis in all F1's indicates that all the five durum varieties are carrying the S form of Ne1 and the two aestivum rust resistant donor parents the S form of Ne2. ... wheat varieties from India are carriers of Ne1.

Wegen der Letalität der F1-Hybriden ist hier also bedauerlicherweise ein ganzes Kreuzungs- und Züchtungsprogramm fehlgeschlagen.

Über die weite Verbreitung der Nekrose-Gene in verschiedenen Weizenlinien berichtet Zeven 1981, p. 521:

The total number of varieties ect. tested is 1461 (26,4 %) Ne1 - , 1184 (21,4 %) Ne2 - and 2885 (52,2 %) non-carriers, together 5530.

Hinter diesen nüchternen Zahlen steht ein Arbeitsaufwand, der kaum zu beschreiben ist. 47,8 Prozent aller untersuchten Linien besitzt also eines der beiden dominanten Nekrose-Gene mit seinen verschiedenen Allelen.

Kommen wir auf unsere Frage nach dem Artbegriff zurück: Wir haben mit diesem Weizenbeispiel zahlreiche Linien, deren F1 letal ist. Wenn wir zwei Arten durch den Punkt 1 von Stebbins Aufführung (p. 68), nämlich der Hybridensterblichkeit oder -schwäche, voneinander abgrenzen, könnten wir beim Weizen mehrere neuer Arten aufstellen. Die Artgrenzen gingen dabei mitunter mitten durch bestimmte Weizensorten. Kein Weizenzüchter hat jemals diesen Vorschlag gemacht. Dasselbe trifft, wie oben erwähnt, auf die Gerste zu. Weiter sei hervorgehoben, dass wir es auch bei dieser postzygotischen Isolation wieder mit dem Ausfall funktionsfähiger Strukturen zu tun haben.


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