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B. UNTERSCHIEDE ZWISCHEN DEN ARTDEFINITIONEN

 

AD 1. In den Definitionen von Rauh, Senghas und Cronquist fehlt die reproduktive Isolation als Artkriterium. Da in ihrem Werk - wie in vielen vergleichbaren systematischen Arbeiten - viele Populationen als Arten aufgeführt werden, die nicht voneinander reproduktiv isoliert sind, ist es nur konsequent, diesen Punkt für die Artdefinition auszuklammern.

AD 2 - 13. Sind sich auch alle diese zitierten Autoren darüber einig, dass aufgrund der reproduktiven Isolation die Arten biologische Realitäten sind, so gibt es doch starke Unterschiede in den Auffassungen, was der Begriff der reproduktiven Isolation im Einzelnen bedeutet, wie er auf den konkreten Fall angewandt werden soll und welche Bedeutung der Artbegriff für die Frage nach dem Ursprung aller Lebensformen hat. Die folgenden Hauptunterschiede sind festzustellen:

(A) DER ARTBEGRIFF DER SYNTHETISCHEN EVOLUTIONSTHEORIE (Zitate Mayr, Simpson, Dobzhansky, Vogel und Angermann, Remane, Storch und Welsch, Ayala und Kiger.)

Bei der reproduktiven Isolation geht es vor allem um den simplen Tatbestand: Sind zwei Populationen reproduktiv voneinander isoliert, dann handelt es sich um zwei echte Arten - die Ursachen der reproduktiven Isolation können sehr unterschiedlich sein (Details später). Um es zu unterstreichen: 'Das entscheidende Kriterium ist nicht die Kreuzbarkeit von Individuen, sondern die Fortpflanzungsisolation der Population als ganzer, wodurch der Genpool seine Eigenartigkeit aufrecht erhält', - 'auch sicher verschiedene Arten' können fertile Nachkommen haben, aber 'heute bezeichnet man die Art als die natürliche Fortpflanzungsgemeinschaft', den 'Gendiffusionsbereich', der von anderen Genpools - wodurch auch immer - getrennt ist.

In Kurzform: Schranken für den Genaustausch = reproduktive Isolation = echte Arten.

Abstammungstheoretische Erwägungen im Sinne der neodarwinistischen Evolutionstheorie fließen stark in die Artdefinition hinein (vgl. 5./6. und 8./9.): Die biologische Art ist die neodarwinistische Evolutionseinheit.

Impliziert wird dabei in der Regel die Art und Weise des Ursprungs aller Lebensformen (Mikro- und Makroevolution). MAYR hat (1967, p. 460) die evolutionistischen Ziele unter der Überschrift "Die Art als Wegbereiter der Evolution" wie folgt genannt:

Jede höhere Kategorie muß letzten Endes als lokale Population einer Art entstanden sein. Vor uns liegt die Aufgabe, die Schritte zu analysieren, mittels derer eine Population eine neue höhere Kategorie, ein neuer Typus zu werden vermag.

Was die Gesamtzahlen der Arten und Gattungen betrifft, so dürften sich jedenfalls bei vielen Tier- und Pflanzengruppen durch die Anwendung des biologischen Artbegriffs diese Zahlen auf weniger als die Hälfte reduzieren (Beispiele oben). Durch die Einführung des Begriffs der Geschwister- oder Zwillingsarten nimmt die Zahl der Arten bei anderen Gruppen, insbesondere bei den Insekten (bei denen sich die Gesamtzahl der Arten nach WHITES Aussage nahezu verdoppelt), aber wieder stark zu.

(B) FINCHAM übernimmt diese Definition weitgehend, besteht jedoch (wie DIETRICH und STÖCKER) darauf, dass zum Artbegriff spezifische morphologische Merkmale in Verbindung mit der reproduktiven Isolation gehören. Das letztere ist bei (A) nicht der Fall.

Weiter betont FINCHAM den Unterschied zwischen Mikro- und Makroevolution (1983, p. 555). Nur die Mikroevolution ist der experimentellen Forschung zugänglich. Mit dem Artbegriff wird nicht die Evolution aller Lebensformen impliziert.

Durch die Ablehnung des Begriffs der Geschwister- oder Zwillingsarten würden sich die Artenzahlen in vielen Tier- und Pflanzengruppen weiter verringern.

(C) Für NILSSON steht die Kreuzbarkeit im Vordergrund. Reagiert ein Genotypenkreis mit einem anderen inkompatibel oder avital - unabhängig von anderen, unter Umständen reversiblen Schranken reproduktiver Isolation - dann handelt es sich um zwei verschiedene Spezies. Die Art ist im Gegensatz zu (A) und (B) konstant.

Da auch 'echte Arten' miteinander kreuzbar sein und fertile Nachkommen haben können, muss sich bei Anwendung dieses Artbegriffs die Zahl der Organismenarten im Vergleich zu (A) und (B) weiter reduzieren, zumal für NILSSON Arten, die nur aufgrund besonderer Gegebenheiten im reproduktiven System auseinandergehalten werden können, keine echten Arten sind (vgl. dazu NILSSONS Kritik der Speziesmacherei bei Hieracium, Taraxacum, Rosa und vielen anderen Gattungen sowie der polyploiden Formen 1953/1972).

(D) Für LAMPRECHT ist die Kreuzbarkeit zwar ebenfalls von großer Bedeutung, entscheidend ist für ihn aber die Gen-Plasma-Barriere: Erst wenn bei Kreuzung verschiedener Organismen bestimmte Merkmale vom mütterlichen Plasma nicht mehr homozygot realisiert werden können, handelt es sich um echte Arten. Der Fertilitätsgrad ist von untergeordneter Bedeutung, da dieser sowohl zwischen verschiedenen Linien zweier Arten unterschiedlich und z.T. auch reversibel sein kann. Die Arten sind durch die absolute Gen-Plasma-Barriere voneinander getrennt. Neue Arten entstehen im Gegensatz zur neodarwinistischen Evolutionstheorie nur als seltene Ereignisse durch Informationsansammlung im "Plasmagedächtnis". Wird ein gewisser Schwellenwert im "Plasmagedächtnis" erreicht, so führt das zur Spaltung interspezifischer Gene und damit zu neuen Arten. Ansonsten sind die Arten konstant und absolut voneinander getrennt.

Die Anwendung dieses Artbegriffs führt zu einer weiteren starken Reduktion der Artenzahlen im Vergleich zu (A) bis (C). Exakte Werte können allerdings zur Zeit nicht gegeben werden, da für keine der bisherigen Artdefinitionen genaue Zahlen zugrunde gelegt werden können. Die anfangs gegebenen Zahlenangaben zwischen rund 2 und 30 Millionen stammen ausnahmslos von Anhängern des biologischen Artbegriffs (obwohl GOULD mit der Mikroevolution nicht zugleich Makroevolution impliziert): Es dürfte klar sein, dass solche ausgeprägten Unterschiede in den Zahlenangaben eines einzigen Artbegriffs keine feste Grundlage für eine genaue Reduktionsreihe durch die Anwendung der verschiedenen Artdefinitionen sein kann. Fest steht jedoch, dass sich die Artenzahlen bei der Anwendung des LAMPRECHTschen Artbegriffs immens reduzieren müssen, weil

  1. morphologische Kriterien eine untergeordnete Rolle spielen
  2. fast alle Geschwister- oder Zwillingsarten wegfallen
  3. grundsätzlich alle "Arten", die miteinander kreuzbar sind und uneingeschränkt fertile Nachkommen haben, zur selben Art gehören
  4. rein genetische und chromosomale Barrieren auch bei starken morphologischen Unterschieden nur von untergeordneter Bedeutung sind
  5. allein die absolute Gen-Plasma-Barriere darüber entscheidet, ob echte Arten vorliegen oder nicht.

(E) MARSH ET AL.

Ich habe oben den Zoologen Marsh zitiert. Seine Definition, dass Organismen zur selben Art gehören, wenn ihre Gameten zur echten Befruchtung (true fertilization) fähig sind, d.h., dass sich ihre Kerne miteinander vereinigen und die Chromosomen beider Eltern eine Rolle in der Ontogenese spielen, ist nun noch weiter gefasst als die LAMPRECHTsche.

Zunächst sei hervorgehoben, dass Marsh nicht von "species", sondern von "kinds" spricht. Das hat seinen guten Grund darin, dass Marsh von den Genesisarten, d.h. den Schöpfungseinheiten redet.

(Nun besteht derzeit in naturwissenschaftlichen Kreisen die Tendenz, jede Form von Schöpfungslehre undifferenziert abzulehnen (dazu gehören auch die von PALCA 1986, p. 675 zitierten 72 amerikanischen Nobelpreisträger, die offensichtlich jegliche ernsthafte Vermittlung eines Schöpfungsmodells verbieten möchten). Obwohl ich schwerwiegende Bedenken beim Kreationismus zu den Themen Zeitrechnung, Religion und Politik habe, halte ich eine undifferenzierte Ablehnung nicht für eine befriedigende Lösung. Vielmehr sollte man biologische Argumente einer wissenschaftlichen Prüfung unterziehen, um differenziert Stellung nehmen zu können. Die im Folgenden zitierten Autoren sind meist promovierte Biologen.

Im übrigen beeindruckt mich "das Argument" von Mehrheitsmeinungen und Autoritäten wenig. Fleischmann bemerkte zu dieser Frage einmal sehr treffend: "Es wäre jedoch vollkommen verkehrt, wollte man die Richtigkeit einer Theorie schlechthin nach der Zahl ihrer Anhänger beurteilen: denn die Kulturgeschichte lehrt uns viele Beispiele kennen, dass ganze Generationen von gelehrten Männern Behauptungen für wahr gehalten und mit dem Aufgebote höchsten Scharfsinnes verteidigt haben, welche heute ein Laie als unrichtig verlacht." Ähnlich Shute 1961, p. 229: "The argument from majority opinion has never impressed me. Had it been effective a century ago, Evolution could never have raised its head. Its no more valid now. ... Science is interested only in truth, not in its adherents or their prestige.")

Nach diesem Artbegriff brauchen zwei verschiedene Formen nicht einmal mehr lebensfähige Nachkommen miteinander zu erzeugen, um zur gleichen Art gerechnet werden zu können. Wir wollen das im Folgenden weiter dokumentieren.

Marsh erklärt den Begriff 'true fertilization' 1976, p. 37:

True fertilization is necessary because in hybridization the union of the gametes may result in an embryo which does not live beyond the gastrula stage; or the fetus may die at full period; or the hybrid may be a healthy individual in every way except that it is sterile; or the hybrid may be a completely normal, fertile individual. The requirement of true fertilization is met when the chromosome groups of both parents take part in formation of the early blastomeres of the embryo. This is a distinguishing requirement for a true hybrid because offspring may be produced where the germ cells of the male take no other part in the development of a new individual than to stimulate an artificial parthenogenesis whereby the egg will proceed with its development into an embryo. In such cases the inheritance is all from the female side. The new individual is therefore not a hybrid. An example of this situation in nature is furnished by the assertion of Loeb in 1912 that practically all teleosts of the ocean would cross. It is now known that in such cases the foreign sperm merely instigates development and then its nucleus is thrown out bodily in the early cleavage stages.

Da die Schöpfungseinheiten mit keiner Gruppe der Systematik grundsätzlich gleichgestellt und identifiziert werden können (was schon deswegen nicht geht, weil die Begriffsanwendungen der Systematik von Gruppe zu Gruppe schwanken können), hat Marsh 1941 den Begriff Baramin (aus dem Hebräischen: bara, erschaffen und min, Art) als neue systematische Kategorie vorgeschlagen.

Die Frage, in welcher Relation dieser Artbegriff zu denen der traditionellen Systematik steht, wird von Siegler (1978, p. 38) wie folgt kommentiert:

Where would it be most appropriate to place the baramin category in the classification system now used by taxonomists? I believe its position would vary with each plant and animal species. In each case it would depend on the extent of our current knowledge about that species. The criterion would always be that all organisms be placed in the baramin category whose eggs and sperm, when brought together, can produce true fertilization. The geneticists, the plant and animal breeders, zoo-keepers and horti-culturists: these would be the specialists on whom the creationists would have to rely, to determine which organisms to group into a baramin. A start can, however, be made for every known living organism, simply by using the knowledge now available.

Since we know that there is no evidence of any case of true fertilization taking place between Homo sapiens and any other species of mammal, the baramin in this case would be at the species level.

Since successful crosses have been made between the following species of Peromyscus mice: P. leucocephalus, maniculatus, and polionotus, the baramin for these would be at the genus level. All other Peromyscus species should be included on a provisional basis, for morphological reasons, until their true status is determined through breeding experiments.

Since crossings have been reported between swans and geese, between geese and ducks, and between various species of each tribe, the baramin for these would be above the family level. In other words, the baramin waterfowl would include ducks, geese, and swans. The taxanomic table would appear as follows:

The taxonomist's Family category embraces at least eight different subfamilies exhibiting combinations of certain obvious morphological peculiarities. Thus, when baramin is here placed above the Family category, the creationist is indicating that he has evidence that most, if not all, of the species of birds found below this category are probable variants of an originally created type of waterfowl. While a certain number of species are as yet included primarily on a morphological basis, guess-work can eventually be eliminated through breeding experiments.

Obwohl mit Marsh, Siegler u.a. auch der Zoologe Jones die Problematik sieht, auf welcher systematischen Ebene die Baramin-Kategorie anzusetzen ist, kann er doch auf eine gewisse historische Konsequenz im Gebrauch der Schöpfungseinheiten hinweisen, wenn er 1982, p.166 betont:

There is a notable consistency in the creationist position on this matter at the created kinds.

It was not until the 17th century (when the folklore and mythology began to be removed from the Western tomes of Natural History) that a biological understanding of the created kinds became possible. In 1686 ('Historia Plantarum' Vol.1) John Ray defined 'species' as groups with mutual fertility. In 1735 Carolus Linnaeus (Systema Naturae, 1st Edition 'Classes Plantarum') identified these 'species' with the created kinds. It was a mistake and after years of specific research in plant hybridization, Linnaeus concluded that he had indeed drawn the boundaries of the kind too narrowly. In 1774 ('Systema Vegetabilium') he settled on the genus as the created kind. In the pre-Darwinian era this was the view of most creationist naturalists (evidence for this can be found in, of all places (!), the 'Historical Sketch' which Darwin placed at the front of his 'Origin of Species'). Since then, there has been a general tendency for Linnaeus' animal genera to be promoted into the family category (a category which Linnaeus did not have) whereas his plant genera have tended to remain in the genus category. This being so, we can claim that creationists have been in general agreement over the identification of the kinds for over two centuries!

Das gäbe immerhin einen klaren Hinweis für einen großen Teil der Fälle, eine erste deutliche Annäherung.

Hugo de Vries hat schon im Jahre 1901 die Bedeutung des Gattungsbegriffs für die Schöpfungslehre hervorgehoben. So schreibt er p. 12:

Die Ansicht, dass die Gattungen ursprünglich geschaffen und dass die Arten im Laufe der Zeiten durch Transmutation aus ihnen hervorgegangen seien, hat zahlreiche Anhänger gehabt (Literaturhinweise).

Dieser Ansicht hatte sich Anfangs auch LINNÉ angeschlossen. Er glaubte an eine einmalige Schöpfung im Paradies; er vermuthete aber, dass diese Formen unseren jetzigen Gattungen entsprächen, während sich diese Arten aus ihnen theilweise direct, theilweise durch Kreuzungen gebildet hätten.

Im zweiten Band seiner MUTATIONSTHEORIE kommt de Vries noch einmal auf diesen Punkt zurück, wenn er 1903, pp. 484/485 bemerkt:

Im ersten Bande (S.12) haben wir gesehen, dass man vor LINNÉ allgemein die Gattungen als die wirklichen systematischen Einheiten betrachtete, und dass LINNÉ selbst in seinen ersten Veröffentlichungen diese noch für geschaffen hielt. Seine Aufstellung des Grundsatzes eines künstlichen Systems, die Behauptung, dass nicht die Gattungen, sondern die Arten geschaffen seien, war eine rein willkürliche That des grossen Meisters, im Interesse seiner Lehre. Es war, nach den damals herrschenden Anschauungen fast ein Eingreifen in die Rechte Gottes. Und so ist es nur natürlich, dass LINNÉ in seinem späteren Leben mehr oder weniger zur älteren Vorstellung zurückgekehrt ist. Um die dabei entstehenden Widersprüche aufzuheben, sprach er im 6. Band seiner Amoenitates academicae die Vermutung aus, die er auch früher gelegentlich geäußert hatte ..., dass sowohl die Gattungen als die Arten erschaffen seien, und zwar in dem Sinne, dass es in jeder Gattung ursprünglich nur eine Art gegeben habe. Aus dieser seien die anderen durch Bastardierung hervorgegangen. Diese eine Art sei dabei die Mutter aller übrigen gewesen und hätte auf diese die Merkmale der Gattung übertragen; sie bilde auch jetzt noch den Mittelpunkt der Gruppe. Es stimmt dieses mit vielen späteren Ansichten, namentlich aber mit dem oben (S.36) besprochenen Gattungstypus GÄRTNER'S überein. Und DUHAMEL, GALLESCO, TREVIRANUS und viele andere Botaniker haben sich der Auffassung von dem einheitlichen Ursprunge der Gattungen angeschlossen.

Im Jahre 1906 ist de Vries wieder auf dieses Thema zurückgekommen, und ich meine, dass seine Ausführungen im Rahmen unserer Besprechung des Artbegriffs der Schöpfungslehre instruktiv genug sind, um im Folgenden noch zitiert zu werden. Auf der Seite 21 schreibt er über die Arten:

Sie sind an die Stelle der Gattungen getreten, welche vor Linné als die Einheiten angesehen wurden.

... Vor Linné waren die Gattungen die wahren Einheiten des Systems. De Candolle zeigte, daß die alten Volksnamen der Pflanzen, wie Rose und Klee, Pappel und Eiche, sich fast alle auf Gattungen beziehen. Der Typus des Klees ist reich an Farben, und die Gestalten der Blütenköpfchen und der Einzelblüten entziehen sich der gewöhnlichen Beobachtung, aber nichtsdestoweniger wird der Klee leicht als solcher erkannt, selbst wenn neue Formen zur Hand kommen. Weißer und roter Klee und viele andere Arten werden einfach durch Adjektive unterschieden, während der Gattungsname für alle derselbe bleibt.

(p. 22:) Auf Grund der Vorstellung einer direkten Erschaffung aller lebenden Wesen nahm man an, daß die Gattungen die erschaffenen Formen seien.

Interessanterweise hat de Vries schon im Jahre 1903 (also nur knapp drei Jahre nach der 'Wiederentdeckung' der Mendelschen Gesetze, wobei er selbst der erste der 'Wiederentdecker' war) folgenden Grundsatz zum Artbegriff aufgestellt, nämlich, "dass Formen, welche bei gegenseitigen Kreuzungen in allen Merkmalen den MENDEL'schen Gesetzen folgen, als Varietäten einer selben Art aufzufassen sind" (von de Vries gesperrt - p. 644 des zweiten Bandes der MUTATIONSTHEORIE). Hier haben wir bereits den konsequenten genetischen Artbegriff, der dann von vielen Genetikern weiter eruiert worden ist.

De Vries führt zuvor noch aus, "dass der Unterschied zwischen Neubildung und Umprägung von Anlagen am genauesten dem Unterschiede entspricht, den die besten Systematiker zwischen Arten und Varietäten zu machen gesucht haben. Jede Form, welche durch Neubildung einer inneren Anlage entstanden ist, somit als Art, jede andere, welche ihre Eigentümlichkeit nur einer Umprägung einer bereits vorhandenen Anlage verdankt, sollte als Varietät aufgefasst werden". Auch 1906, p. 95, kommt de Vries zu dem Schluss, "daß sich die Varietäten dadurch von den elementaren Arten unterscheiden, daß sie keine wirklich neuen Eigenschaften besitzen. Sie entstehen zum größeren Teile auf negativem Wege, durch den anscheinenden Verlust irgend einer Eigenschaft, selten auf positivem Wege, dadurch daß sie eine Eigenschaft, die bereits bei verwandten Arten vorhanden ist, neu erwerben".

Zurück zum Artbegriff der Schöpfungslehre: Die Genesis-Art wird nach den Ausführungen von Marsh (1976/1981), Siegler (1978), Lammerts (1970), Howe (1979), Jones (1982) und vielen anderen für das Pflanzenreich häufig mit der Gattung und für das Tierreich in vielen Fällen mit der Familie oder Unterfamilie (zumindest provisorisch) identifiziert. Andere Autoren machen jedoch diesen Unterschied für das Pflanzen- und Tierreich nicht und halten in erster Annäherung generell die "Familienarten" für die Schöpfungseinheiten (Dewar 1957, Kahle 1984).

Jones ist im übrigen der einzige mir bisher bekannte Vertreter der Schöpfungslehre, der einen sowohl von den anderen Kreationisten als auch den oben zitierten Evolutionisten völlig abweichenden Artbegriff vorgeschlagen hat, den ich der Vollständigkeit halber (aber auch wegen des interessanten Ansatzes) hier noch aufführen möchte. Jones unterbreitet 1982, p. 15 die folgende Arbeitshypothese (wie er seinen Ansatz selbst nennt):

(1) The basic organizational patterns of biological structures are encoded in membrane templates (which we may call cortomes). This applies at two levels: the level of the cell organelles and the level of the cells.

Since at one or more points in the life-cycle, every organism is found as a single cell (e.g., the fertilized egg) the cell must be regarded as the organism's basic unit of structure, function, reproduction, and heredity. (Cell Theory.) Hence we may suppose that the basic body plan of each created kind (baramin) is encoded in the cortome (Cortome Theory). We may further suppose that the cortome pattern does not change (vary); and that this is the scientific explanation of the integrity and permanence of the baramin (but see below). Damage to the cell may impair its normal functioning, and some elements of the pattern may become lost, reversed, or duplicated. But the essential nature of the pattern must remain unchanged. The types of change possible are illustrated by, on the one hand, the surgical alterations to the "frozen" cortical organization of Protozoa, and, on the other hand, the homeotic mutants of Drosophila.

(2) Differing developmental expressions of the cortome patterns are produced by different genomes, i.e., through the recombination and permutation of the genome factors.

These factors comprise not only the nuclear (chromosomal) DNA's, but also the non-homologous DNA's found in cell organelles such as mitochondria and chloroplasts. The genic factors do not produce the patterns of biological organization (though genic mutations may lead to an impaired expression of them), but govern the production of the physiochemical substructures of the organism (with, of course, their essentially "typographic" topology). The genic factors are not hereditary "atoms" but differentials among body conditions. These conditions permit of repress the various biological processes which are involved both in "reading" the cortome information and in producing the biological (organellar and cellular/supracellular) structures that are thereby specified. (Kursiv vom Verfasser.)

In einem weiteren Artikel (1982) lehnt Jones die Kreuzbarkeit (einschließlich Marshs Kriterium der 'genuine fertilization') als zuverlässiges Abgrenzungskriterium zwischen den Genesis-Arten ab ("... hybrids are not always possible within kinds"- ... "True fertilization has been obtained between animals belonging to distant baramins, e.g. Fundulus heteroclitus (Order Cyprinodontiformes) x Scomber scombrus (Order Perciformes).")

Er selbst unterbreitet unter starker Betonung der Konstanz tierischer Verhaltensweisen folgenden Vorschlag zur Definition der Genesis-Art (p. 167):

A baramin consists of all those animals that partake of, and recognize, the same pattern of behaviour. (Kursivschreibung von Jones.)

AD 14. Nach Clarkson ist der Artbegriff in der Paläontologie im wesentlichen mit dem morphologischen identisch. Willmanns Arbeit ist die Übertragung des biologischen Artbegriffs in Anlehnung an die kladistische Methodik und des evolutionären Artbegriffs auf die Paläontologie. Wir kommen in einem eigenen Abschnitt auf diese Fragen zurück.

Damit wurde eine Übersicht über alle mir bekannten von Biologen vorgeschlagenen Artabgrenzungen der letzten Jahre gegeben und ich möchte nun aufgrund dieser Definitionen eine provisorische Reduktionsreihe der anfangs zitierten Artenzahlen aufstellen. Der Vorläufigkeitscharakter der meist nur auf groben Abschätzungen beruhenden Zahlen (mit Ausnahme vielleicht der Letzten) sei dabei nochmals betont. Die Gründe für den Mangel an exakten Zahlen wurden oben schon genannt.

Um überhaupt von einer Höchstzahl bei der ganzen Serie der anfangs zitierten Höchstzahlen ausgehen zu können, bin ich von dem annähernden Mittelwert der unterschiedlichen Zahlenangaben (als Höchstzahl dienen die vorsichtigen 10.000.000) ausgegangen. Den morphologischen Artbegriff habe ich dabei nicht vom Artbegriff der synthetischen Evolutionstheorie abgetrennt, weil erstens in den anfangs zitierten Zahlen die Arten des morphologischen Artbegriffs meist noch mitberücksichtigt werden und zweitens ein Großteil der Gruppen des Pflanzen- und Tierreichs noch gar nicht nach dem biologischen Artbegriff der Synthetischen Evolutionstheorie bearbeitet sind. Wie schon erwähnt, wird die endgültige Artenzahl bei verschiedenen Tiergruppen nach der letzteren Theorie schließlich wesentlich höher sein als nach morphologischen Gesichtspunkten.

 


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